piwik no script img

Der Himmel über Japan

„Nicht seriös genug für einen Deutschen“: Kiyoshi, Katrin und Clarissa alias Karl erzählen, warum sie von Berlin nach Tokio gezogen sind

aufgezeichnet von MICHAELA VIESER

„Schweigen, ohne dass es peinlich ist“

Meine Mutter ist Japanerin, aber ich bin in Bonn aufgewachsen. Wir haben nie in Japan gewohnt. Also wollte ich wissen, was das für ein Land ist, aus dem meine Mutter kommt. Und als ich in Berlin Sinologie studierte, konnte ich von dort auf die Uni nach Tokio wechseln. Ich fand die Stadt faszinierend, die Geschwindigkeit, die Hektik, die es in Berlin so natürlich nicht gibt. Manchmal denke ich, dass ich mich in Tokio nur dann zu Hause fühle, sobald ich mein mobiles Telefon in der Hand halte.

Während meiner Berliner Zeit hatte ich viele japanische Freunde. Es hatte immer so eine ungezwungene Leichtigkeit, wenn man sich mit ihnen unterhielt. Man tauscht Geschichten aus – mit Deutschen dagegen redet man in Monologen, in vielen „Statements“. Bei einem japanischen Gespräch ist das, was zwischen den Wörtern und Sätzen liegt, wichtiger. „Ma“ ist das japanische Wort für dieses Dazwischen. Es bezeichnet zum einen eine Pause, ein Schweigen also, dass aber nicht peinlich ist. Das Ma kann aber auch die persönliche Entfernung zum Gesprächspartner bezeichnen, ohne dabei eine Meinung zu äußern.

Insgeheim denke ich aber immer noch an Deutschland. Ich würde nämlich später gerne ein deutsch-japanisches Altersheim am Wannsee gründen. Selbst der japanische Botschafter, mit dem ich mich in Bonn einmal darüber unterhalten habe, fand die Idee damals Klasse. Er würde sofort dort einziehen.

Kiyoshi Runze, 25 Jahre alt, zog vor drei Jahren von Berlin nach Tokio. Er arbeitet für Dentsu, das zu den größten Werbeunternehmen der Welt gehört.

„Japan, das ist die totale Verkünstlichung“

Tokio ist wahnsinnig spannend. Aber ich kann auch nicht genau erklären, warum. Ich könnte jetzt nicht sagen: Es ist der geile Blick auf den Mount Fuji oder irgendeine bestimmte coole Bar. Es ist wohl eher die Summe vieler Kleinigkeiten. In Tokio Bahn fahren ist zum Beispiel für mich ganz großes Kino. Vor allem wenn man vorne im ersten Wagen sitzt und die Stadt an sich vorbeiziehen lässt. Tokio verändert sich so rasant – an manchen Stellen sieht die Stadt nach drei Wochen plötzlich ganz anders aus.

Als Kind habe ich immer gesagt: „Ich geh mal nach Japan.“ Vor einigen Jahren gewann ich dann einen Kunstpreis in Nagoya und konnte so für vier Monate nach Japan kommen. Meinen zweiten Aufenthalt ermöglichte mir dann ein Stipendium, das ursprünglich auf zwei Jahre ausgelegt war. Ich habe mich dort dann mit dem Bild der Frau in der japanischen Öffentlichkeit beschäftigt – mit dem Mittel der Porträtfotografie.

Ich habe also auf der Straße Frauen angesprochen, die in irgendeiner Form dem öffentlichen Bild von „der“ japanischen Frau entsprachen – Schülerinnen, Mütter, office ladies. Den Porträts habe ich dann Frauenfiguren aus der Werbung gegenübergestellt.

Meine zweite Arbeit beschäftigte sich mit einem Phänomen, dass mittlerweile eineinhalb Jahre zurückliegt, den Shibuya Girls. Diese Mädchen waren visuell gesehen unglaublich präsent in der Stadt, obwohl sie von der Anzahl her gar keine sooo riesengroße Gruppe waren. Mich hat an ihnen besonders die absolute Ablehnung alles Japanischen interessiert. Ihre Haare sind weißblond gefärbt, die Augen werden durch Kontaktlinsen blau getönt, und die Haut ist durchs Solarium fast schwarz gebrannt. Die Fingernägel sind aufgeklebt, und die Beine werden durch Plateauschuhe künstlich verlängert. Das ist hundert Prozent Contemporary Japan: die totale Verkünstlichung.

Katrin Paul, 37, lebt seit dreieinhalb Jahren in Tokio. Sie ist die Gewinnerin des diesjährigen Fuji Fotopreises. Eine Auswahl ihrer Arbeiten ist zurzeit in der Münchner Galerie Kunstsalon Ohm zu sehen.

„Ich funktioniere ja auch eher digital“

Ursprünglich wollte ich auf die Münchner Filmhochschule. Das klappte spontan aber nicht, und so hatte ich ein Jahr Zeit, in dem ich dachte, ich könnte mir eine neue Sprache aneignen. Englisch kann ja jeder. Also Japanisch. 1993 bin ich dann nach Tokio gezogen, um Film zu studieren. Ich fand aber bald, dass Video in Japan das zukunftsträchtigere Medium ist, und da ich selbst auch eher digital funktioniere, habe ich auf den Studiengang „imaging arts and sciences“ gewechselt.

Ich finanziere mein Leben in Japan auf unterschiedliche Arten. Zum einen mache ich selbst Videokunst. Im Moment arbeite ich zum Beispiel an einem Dokumentarfilm über japanische Architekten. Mein zweites Standbein ist die Produktions- und Koordinationsleitung für ausländische Fernseh- und Filmprojekte in Japan – wie Dorris Dörries „Erleuchtung garantiert“.

Daneben arbeite ich als Sprachlehrer für das Japanische Fernsehen, war auch in japanischen Kochsendungen zu Gast und habe Bierwerbung und andere Fernsehspots gemacht. Ich habe allerdings etwas damit zu kämpfen, nicht ins japanische Klischee eines Deutschen zu fallen. Als Sprachlehrer trage ich zum Beispiel einen amerikanischen Overall, wie ein kleiner Farmerjunge. Das soll wohl einen Landwirt aus den Alpen darstellen. Die Japaner finden das süß und lustig. Ich habe aber deshalb auch schon Beschwerdebriefe von japanischen Zuschauern bekommen: Ich sähe nicht seriös genug aus für einen Deutschen.

In der Kirin-Bierwerbung spiele ich einen aggressiven Deutschen, der sich beschwert, dass die Biere aus aller Herren Länder so furchtbar schmecken und nicht vergleichbar sind mit Kirin. In dieser Rolle sah ich aus wie ein erzürnter Walter Sedlmayr.

In der Talkshow „Tonight“ bin ich übrigens als Clarissa aufgetreten. Ich trage nämlich gerne Frauenkleider, auch sonst. Ich war eingeladen als Filmspezialist aus Deutschland. Dass ich als Clarissa kam, war erstaunlicherweise überhaupt nicht Gegenstand der Diskussion. Das war anscheinend ganz normal. Mich hat nur gestört, dass vorher ein Bericht über Kondome und danach ein Beitrag über Kücheneinrichtungen gesendet wurde – so dass mein Auftritt etwas kurz kam.

Clarissa bzw. Karl Neubert, 35, lebt in Tokio und arbeitet unter anderem als Deutschlehrer im Nationalen Japanischen Fernsehen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen