: Biobauer goes big business
Ökologisch produzierende Landwirte erwarten innerhalb der nächsten drei Monate eine Verzehnfachung der Nachfrage. Professionelles Marketing ist das Gebot der Stunde. Brandenburg hat einen überdurchschnittlichen Anteil ökologisch bewirtschafteter Ackerflächen
von VOLKER ENGELS
Wenn in diesen Tagen Rinder reihenweise dem Wahnsinn der industriellen Massentierhaltung zum Opfer fallen und Bundesminister zähnefletschend ihren Hut nehmen müssen, driftet der verängstigte Blick der Verbraucher zunehmend in Richtung Öko-Landbau. Schlecht sind die Aussichten, die sich da auftun, in Berlin und Brandenburg nicht. Immerhin sechs Prozent der landwirtschaftlichen Fläche im Agrarland Brandenburg werden von rund 350 Betreibern ökologisch bewirtschaftet. Der bundesdeutsche Durchschnitt liegt bei zwei Prozent. Damit belegt das Land mit dem roten Raubvogel im Wappen bundesweit den zweiten Platz. Alleine Mecklenburg-Vorpommern steht noch besser da.
„Wir können jedem Betrieb, der das will, eine ökologische Perspektive eröffnen“ sagt Jens-Uwe Schade vom Brandenburger Agrar- und Umweltministerium. Insgesamt fünf Jahre wird Landwirten, die ihren Betrieb auf eine landwirtschaftliche Bio-Produktion umstellen, unter die Arme gegriffen.
Vor allem aus Mitteln der Europäischen Union stehen dafür mehr als 15 Millionen Mark zur Verfügung. Diese finanzielle Unterstützung wird zusätzlich zu Fördermitteln aus anderen Töpfen gewährt. Ein Hof im Oderbruch kann also doppelt profitieren: von der konventionellen und der ökologischen Förderung. Damit sollen vor allem die Umsatzeinbußen kompensiert werden, die der Verzicht auf eine intensive industrielle Bewirtschaftung mit sich bringt. Schon seit langem zieht der nährstoffarme Brandenburger Boden Landwirte ins Land, die sich von industriellen Verfahren verabschiedet haben und ihren Betrieb nach ökologischen Kriterien aufbauen wollen. In Regionen mit fruchtbaren Böden und ausreichendem Wasservorkommen, denen man klaglos jede Nutzung abverlangen kann, ist hingegen besondere Kreativität beim Anbau von Getreide, Obst und Gemüse nicht nötig. Glücksfall märkischer Sand.
Langfristig, glaubt Jens-Uwe Schade, „wird sich der ökologische Landbau aber keinen Gefallen tun, wenn er sich alimentieren lässt wie die herkömmliche Landwirtschaft“. Bio-Betriebe müssten von dem Image wegkommen, „dass da ein Bauer in Jesuslatschen in den Garten geht, um einen wurmstichigen Apfel zu pflücken“. Professionelles Marketing sei gefragt, meint der Pressesprecher. Außerdem müssten Produktionsabläufe zusammengefasst und optimiert werden. Aber auch der Handel, der sich weitgehend seine Partner im Bereich der konventionellen Landwirtschaft suche, müsse umdenken. „Das Image vom heiligen Blick und den Strickpullovern hat sich schon lange verändert“, meint Simon Ziegler vom Ökodorf Brodowin. Der Brandenburger Betrieb, der seit 1991 ökologischen Landbau betreibt, vermarktet seine Fleisch-, Milch- und Getreideprodukte übers Internet in so genannten Abo-Kisten, die direkt in die Wohnung geliefert werden. Besonders die Berliner sind dankbare Abnehmer für diese Öko-Lebensmittel. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Absatz um 35 Prozent gestiegen. Auf der Grünen Woche, die Ende Januar wieder in Berlin stattfinden wird, stellt der Hof an drei Ständen seine Produktpalette vor. Den Bio-Döner können geneigte Kunden mit knusprigen Demeter-Pommes verspeisen, dazu wird Öko-Bier serviert.
Höchst zufrieden zeigt sich Ziegler mit den Umsatzzahlen: „Früher haben wir in der Woche fünf Schweine geschlachtet, heute sind es dreißig.“ Potenzielle Kunden gebe es in ganz Europa. Besonders die englischen Supermärkte hätten aus der BSE-Krise gelernt und seien mittlerweile die größten Bio-Kunden Europas, die den „Markt leerfischen“. Der studierte Agrarökonom erwartet weitere Zuwächse, die sich sehen lassen können: „eine Verzehnfachung“ der Nachfrage innerhalb der nächsten drei Monate. Den Bedarf nach Frischfleisch kann der Betrieb problemlos decken, alleine beim Gemüse ist der Bedarf ungleich höher als das Angebot. Trotzdem ist er zuversichtlich: „Die Lücke werden wir schließen.“ Das Ökodorf Brodowin, das übrigens keine englischen Supermärkte beliefert, fühlt sich der regionalen Vermarktung verpflichtet. Und die hat auch positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt: Das Brandenburger Ökodorf leistet einen praktischen Anteil zur Senkung der Arbeitslosigkeit. Nur vier Prozent der Dorfbewohner sind ohne Job.
Die Grüne Woche findet vom 19. bis 28. Januar in den Messehallen am Funkturm statt. Informationen können unter der Adresse www.gruenewoche.de abgerufen werden. Informationen zum Ökodorf Brodowin sowie die Lieferbedingungen für Abo-Kisten finden sich unter www.brodowin.de
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