: Buddeln mit Heino Ferch
Der groß angekündigte Sat.1-Zweiteiler über die Geschichte der Tunnel bauenden Studenten im Berlin von 1962 ist nur ein Ausstattungsspektakel (So. und Mo., 20.15 Uhr)
Der Osten – das sind zwei große traurige Kulleraugen. Sie sehen aus, als wollten sie sagen: „Drück mich!“. Statt dessen steht da geschrieben: „Hol mich rüber!“. Eingerahmt ist dieser bekümmerte Blick von Stacheldraht. Perfider als mit dem viel beworbenen Fluchthelfer-Spektakel „Der Tunnel“ von Sat.1 hat wohl noch kein deutscher Sender seine Marketingstrategien mit der Affekttaktik des Melodrams in Einklang gebracht.
Ein Mammutprojekt wie dieser Zweiteiler, der mit einem Budget von 13 Millionen Mark die teuerste Eigenproduktion in der Geschichte von Sat.1 darstellt, fordert eben eine schnittige Promotion. Und was lag näher, als auch in der Werbung das allegorische Potenzial der deutschen Teilung auszuschöpfen – wo doch in dem Mauerschocker keine der bekannten Versinnbildlichungen des Konflikts ausgelassen wird. So starren die Figuren ständig trübsinnig durch Stacheldrähte in den anderen Teil des Landes, und einmal wird gar das Turteln eines deutsch-deutschen Liebespaares durch einen neuen Stein in der noch unfertigen Mauer jäh beendet. Später verendet der flüchtende Lover in einer Blutlache im Todesstreifen.
An symbolisch aufgeladenen Schlaglichtern mangelt es hier also kaum, dafür fehlt jegliche psychosoziale Schärfentiefe. Regisseur Roland Suso Richter, der schon 1999 mit seiner Nazismus-Parabel „Nichts als die Wahrheit“ eine auf Effekt getrimmte Form der Geschichtsbewältigung praktizierte, schenkt seinen Helden nicht allzu viel Aufmerksamkeit. Obwohl doch alles auf einer wahren Begebenheit beruht – auf der vielfach dokumentierten Geschichte jener Studenten nämlich, die 1962 aus Westberlin einen Tunnel in den Osten gruben, um Freunde und Verwandte rüberzuholen. Dafür ließ man im Studio ein System aus Röhren konstruieren, das dem Fluchtweg nachempfunden wurde. Ein paar Lasterladungen Lehm machten das Bergwerks-Flair perfekt. Wer nur aufs Dekor guckt, verliert leicht seine Figuren aus den Augen.
Tatsächlich ist hinter all den pittoresk verdreckten Gestalten, die sich hier unter Schweiß und Tränen in den verhassten Osten buddeln, kaum ein ausgearbeiteter Charakter auszumachen. Heino Ferch etwa bleibt als unkorrumpierbarer Ex-Ossi genauso eindimensional wie Mehmet Kurtulus als italienischstämmiger Ami, der aus Abenteuerlust und Menschenliebe erst als GI den Westen befreit hat, um jetzt auch noch ein paar DDR-Bewohner glücklich zu machen. Als sich die Maulwürfe besaufen, knallt der Kriegsversehrte irgendwann seine Beinprothese auf den Tisch. Jesus, den haut nichts so leicht um!
Auch den Verwandten auf der anderen Seite der Grenze wird nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt: Sie lassen die Demütigungen der Stasi über sich ergehen und bereiten sich ansonsten mit Kettenbriefen und Flüsterpost auf den Tag der Befreiung vor. Der Actionthriller ist eben ganz den Gesetzen der Suspense verpflichetet. Da darf natürlich auch die obligatorische Undercover-Aktion nicht fehlen. Am Ende muss Ferch deshalb im drolligen Volksarmisten-Outfit in den wilden Osten vorstoßen. Das passende Finale für einen Film, der seine Helden zu Statisten eines Ausstattungsspektakels degradiert. CHRISTIAN BUSS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen