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Zuwanderer müssen sich gedulden

In der Europadebatte des Bundestags verteidigt der Kanzler die Ergebnisse von Nizza. Die EU sei Anfang 2003 zur Aufnahme von neuen Ländern bereit. Auch neue Arbeitskräfte aus dem Osten sind erwünscht, allerdings erst im nächsten Jahrzehnt

von SABINE HERRE

Was als Regierungserklärung zum EU-Gipfel in Nizza angekündigt worden war, wurde zu einer Erörterung der Migrationsprobleme der Osterweiterung. Kein Wort verlor Gerhard Schröder gestern im Bundestag über die Stimmverteilung im Europäischen Rat – dabei hatte der Streit zwischen großen und kleinen Ländern den Gipfel im Dezember fast zum Scheitern gebracht.

Der Kanzler bekräftigte die Forderungen, die er eine Woche nach Nizza in einer Rede in der Oberpfalz erhoben hatte. Um „Verwerfungen“ in der bayerisch-tschechischen Grenzregion nach der Osterweiterung zu verhindern, müsse die Freizügigkeit für Arbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern sieben Jahre eingeschränkt werden. Erst im nächsten Jahrzehnt werde Deutschland Zuwanderung dringend brauchen, um seinen Lebensstandard und seine Sozialsysteme zu erhalten.

Zur Rhetorik der rot-grünen Regierung gehört es, Nizza als einen Gipfel zu bezeichnen, bei dem zwar nicht „alle Hoffnungen“ erfüllt worden seien, der jedoch die Voraussetzungen für die EU-Erweiterung geschaffen habe. Schröder nannte gestern erstmals konkret den „Jahresbeginn“ 2003, zu dem die EU aufnahmefähig sein werde. Zweites wichtiges Datum ist das Jahr 2004, in dem erneut eine Regierungskonferenz stattfinden wird. Bereits jetzt müsse aber unter schwedischer EU-Präsidentschaft eine breite öffentliche Diskussion über die Zukunft Europas geführt werden, sagte der Kanzler. Dabei sollten auch die Beitrittsländer mit einbezogen werden. Der Kanzler vermied es jedoch, die Einberufung eines „Konvents“ zu fordern. Ein solcher Konvent, in dem der Einfluss der Regierungen geringer, der von NGOs und Parlamenten größer ist, gilt vielen EU-Experten heute als zukünftiges Forum der Europadebatte und als teilweiser Ersatz für die von Beamten dominierten Verhandlungen der Regierungskonferenz. Der „Post-Nizza-Prozess“ stand so ganz im Zentrum der gestrigen Debatte. So scharf die Opposition auch die Verhandlungen der Bundesregierung in Nizza kritisierte, so einig war man sich in einem anderen Punkt: Nun müsse schnell über die zukünftige „Kompetenzabgrenzung“ zwischen EU, Bund und Ländern nachgedacht werden. Bei Bildung, Kultur und Raumplanung etwa solle Brüssel nicht mehr mitregieren. Dass viele Wissenschaftler die Erstellung einer konkreten „Kompetenzliste“ für undurchführbar halten, spielte dabei keine Rolle. Allerdings wies der Kanzler darauf hin, dass die „Kompetenzabgrenzung keine Einbahnstraße“ sei, „wo europäische Lösungen besser sind, müssen diese auch gemacht werden“.

Nur FDP und PDS sprachen sich gestern gegen die Ratifizierung des Vertrags von Nizza aus. CDU/CSU machen die Zustimmung von Verbesserungen der Gipfelergebisse abhängig. Welche Punkte konkret geändert werden sollen und wie der politische Prozess hierzu ablaufen soll, wurde jedoch nicht klar.

Die derzeitigen Grenzen der europäischen Integration machte Joschka Fischer deutlich. Der Außenminister zeigte auf, an welchen nationalen Interessen die wichtigsten Reformen in Nizza gescheitert waren: Bei Mehrheitsentscheidungen über Steuerfragen blockierten die Briten, bei der Verringerung der Zahl der Kommissare die kleinen Länder. Bei der Frage der Stimmgewichtung aber beugte sich Berlin Paris: Wer ein gutes deutsch-französisches Verhältnis für die Basis der europäischen Integration halte, der müsse eben auch etwas dafür tun. Diplomatischer hätte man das deutsche Nachgeben nicht ausdrücken können.

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