: Trendwende verzweifelt gesucht
Ein gutes Jahr nach der Wahlniederlage ist die SPD von einem Aufschwung weiter entfernt denn je. Auch bei ihrer Fraktionsklausur in Rostock am Wochenende war kein Ausweg in Sicht. Da half auch die Nachhilfe in Sachen PDS nicht
von RALPH BOLLMANN
Es war alles so schön eingefädelt. Erst erklärten die Spitzen der Berliner SPD das „Megathema“ Bildung zur Chefsache. Dann schickten sie ihre ungeliebte Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing in die Wüste. Im Gegenzug hievten sie den damaligen Fraktionschef Klaus Böger ins heiß ersehnte Schulressort. Der Kampfauftrag: Böger sollte die Lufthoheit über den Schulbänken zurückerobern und die SPD aus ihrem historischen Tief holen.
Daraus wird vorerst nichts. Seit der Übernahme des Senatsressorts ist Böger, einst populärster SPD-Politiker im Land, in der Gunst des Wahlvolks völlig abgestürzt. Kein Senator ist so unbeliebt wie er. Eines immerhin hat die SPD geschafft: Jeder dritte Berliner hält die Zustände an Berlins Schulen, über die zuvor kaum jemand sprach, für das drängendste Problem der Stadt – und kreidet das vermeintliche Desaster prompt dem zuständigen Senator an.
Mehr als ein Jahr nach ihrer verheerenden Wahlniederlage ist die SPD von einem Aufschwung in der Wählergunst weiter entfernt denn je. In Umfragen dümpelt die Landespartei noch immer bei 23 Prozent, während sich CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen einer anhaltend hohen Beliebtheit erfreut – und das vor allem bei den Unterschichten. „Die SPD ist nicht die Partei der kleinen Leute“, sagt Manfred Güllner, Chef des Berliner Forsa-Instituts.
Von solchen Zahlen lassen sich die SPD-Abgeordneten aus dem Berliner Landesparlament, die sich am Wochenende zu einer Klausurtagung in Rostock trafen, längst nicht mehr schockieren. Schließlich gehört das demoskopische Desaster für die hiesigen Genossen längst zum Alltag. Eine Strategie für die ersehnte Trendwende ist noch immer nicht in Sicht. Dabei hat die Partei nur noch zwei Jahre Zeit, Köpfe und Konzepte aufzubauen. Denn dann beginnt die Kampagne für die nächste Landtagswahl im Jahr 2004.
Die SPD in Mecklenburg-Vorpommern hat vorgemacht, wie man einer zerrütteten Ehe mit der CDU entfliehen kann: Durch einen Schwenk zur PDS. Brav lauschten die Berliner Volksvertreter, wie der Schweriner SPD-Fraktionschef Volker Schlotmann das rot-rote Bündnis als Erfolgsgeschichte beschrieb. So geräuschlos habe man das SPD-PDS-Schiff „um alle Klippen herumgesteuert“, dass sich die Presse schon über den „Prima-Klima-Klub“ mokiere.
Der Nachhilfe hätte es kaum noch bedurft, schließlich hat die Berliner SPD den Schwenk längst vollzogen: Es gibt kaum noch jemanden, der die PDS-Option grundsätzlich ausschließen mag. Selbst Böger, als rechter Flügelmann gewiss kein Kommunistenfreund, will nach 14 Jahren großer Koalition im Jahr 2004 „natürlich auch über Optionen reden“. Man könne „nicht nur aus der Vergangenheit leben“. Werde die PDS zu einer „linken Regionalpartei des Ostens“, dann entwickele sich womöglich ein Verhältnis „wie zwischen CDU und CSU“.
Im nordöstlichen Bundesland sieht Fraktionschef Schlotmann die SPD in der „komfortablen Situation“, dass sie sich den Koalitionspartner aussuchen kann. Die stärkste Partei im Land gelte bei den Wählern als „der ruhige, besonnene Pol“ in der Politik: „Das ist eine Position, die in anderen Ländern die CDU einnimmt.“
In Berlin glaubten zuletzt nur 11 Prozent der Wähler, die SPD könne die Probleme der Stadt besser lösen als die CDU. Womöglich rühre dieses Defizit daher, so schwant es dem Abgeordneten Karlheinz Nolte, „dass niemand nach außen sichtbar die Berliner SPD repräsentiert“.
Anders als in Schwerin, wo Harald Ringstorff schon lange auf das Amt des Ministerpräsidenten zusteuerte, fehlt in Berlin eine klare Führungsfigur. Stadtentwicklungssenator Peter Strieder ist als Parteichef seit seiner knappen Wiederwahl im letzten Sommer schwer angeschlagen. Der Stern des heutigen Schulsenators Böger sinkt bereits, seit er vor zwei Jahren im parteiinternen Kampf um die Spitzenkandidatur gegen Walter Momper den Kürzeren zog. Klaus Wowereit, der von Böger erst vor einem guten Jahr den Fraktionsvorsitz übernahm, hat dagegen schnell an politischem Profil gewonnen. Im SPD-Spitzentrio ist er mittlerweile der beliebteste Politiker – allerdings nur bei den wenigen Berlinern, die ihn kennen.
Vorerst demonstrieren die drei Führungskräfte Einigkeit. Kaum war das Gerücht entstanden, Strieder nehme dem Schulsenator die bildungspolitische Butter vom Brot – schon rückten die beiden vor der Presse demonstrativ zusammen. Doch die Entschlossenheit, mit der Strieder die Spitzenkandidatur für 2004 anpeilt, stößt in der Partei nicht überall auf Gegenliebe. Immer mehr Genossen könnten sich dafür auch einen auswärtigen Kandidaten vorstellen, wenn er dem Wahlerfolg dienlich wäre.
Auch ein solcher Star könnte die Partei allerdings nicht aus dem strategischen Dilemma befreien, dass sie im einzigen west-östlichen Bundesland zwischen CDU und PDS zerrieben wird. Erfolge der großen Koalition nützen dem größeren Partner, Misserfolge kommen der Ost-Partei zugute. Die SPD spielt Regierung und Opposition zugleich – und überzeugt damit niemanden.
Insgeheim mag die Partei darauf spekulieren, dass die Glückssträhne der Union eines Tages abreißt. Tritt Diepgen 2004 noch einmal an, dann ist er 20 Jahre lang im Amt – eine Neuauflage der Verjüngungskampagne von 1999 würde schwierig. Aber auch ohne Diepgen geriete die CDU in der Wählergunst ins Schlingern.
Ohne eine zugkräftige Alternative wird die SPD allerdings auch von einer CDU-Krise kaum profitieren können. Für einen Wechsel, das zeigt die Erfahrung im Bund, muss beides zusammenkommen. Von 100 Berlinern, die 1998 für Gerhard Schröder stimmten, votierten ein Jahr später nur 48 für Walter Momper. Da bleibt noch einiges zu tun.
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