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Wir gehen eine neue Heimat suchen

Mach mich nicht nass, mach mich nicht nass, mach nur die braune Erde nass: Martin Kušej inszeniert Karl Schönherrs Drama „Glaube und Heimat“ an der Wiener Burg und badet das naturalistische Volksstück im staatstheatertragenden Schlamm der Gegenwart. Auch für den Holocaust bleibt noch Raum

von CORNELIA NIEDERMEIER

. . . und siehe, es regnete jegliche Stunde, und die Erde ward zu Schlamm: Zwei Stunden lang nieselte im Burgtheater die bühneneigene Sprinkleranlage fein zerstäubte Regenvorhänge auf die Bühne, die Bühnenbildner Martin Zehetgruber knöchelhoch mit dunkler Erde bedeckt hatte. Und Akt um Akt versanken ein Stück und seine Darsteller im Schlamm. Karl Schönherrs „Glaube und Heimat“, mit dem Untertitel „Die Tragödie eines Volkes“.

Ganz so völkisch war es zwar nicht gemeint im Burgtheater. Dort gibt man sich gern verträglich revolutionär, weswegen ein Kommentar zur allgemein bekannten politischen Situation zu erwarten stand. Keine Tiroler-Stübchen also, kein Bergpanorama, sondern staatstheatertragender brauner Schlamm, Kot und Erde. Und um die Erde eine überdimensionale Holzkiste, Stall oder Käfig, in der die schlammverbundenen Menschen waten und die den Blick nach außen hindert. Wir haben verstanden: Wo aber der Schlamm aufhört, gähnt ein existenzielles Loch.

Jenseits der feuchten Erdung verliert die Inszenierung nicht nur akustisch und optisch ihre Konturen im Wasserschleier. Keine Ideologie wird befragt. Kein Weltbild zur Kenntlichkeit verzerrt. Menschen stecken, immer wieder zu emblematischen Tableaus gruppiert (denen allerdings sinnfällige emblematische Aussagekraft fehlt), im Boden, ihre Dialekttexte versperren sich als Fremdkörper ihren Münder. So weit, so bekannt.

Nur: Mit diesen inszenatorischen Kunstgriffen hätte Kušej jedem beliebigen Volksstück begegnen können. Was seine Inszenierung von Grillparzers „Weh dem, der lügt“ im vergangenen Jahr auszeichnete: die äußerste Präzision im Umgang mit dem Text, die eine verborgene, in sich schlüssige Lesart unter dem Staub der Tradition entdeckte, fehlt diesem Abend ganz.

Fast scheint es, als habe das Burgtheater-Kalkül die Paarung Schönherr/Kušej – der Volkstümelnde findet seinen Entzauberer – schlau zusammengedacht. Und sich dabei für das falsche Stück entschieden. Das nämlich ist durchaus komplizierter. Karl Schönherr, 1867 in Tirol geboren, in Wien als Arzt ansässig, siedelt das dreiaktige Drama im ländlichen Milieu zur Zeit der Gegenreformation an und führt die bäuerlichen Grundwerte – patriarchaler Bodenbesitz und christlicher Glaube – zum Konflikt.

Um die Bauernfamilie Rott konstruiert er eine konfessionell geteilte Dorfgemeinschaft. Die „Tragödie eines Volkes“, Zersplitterung, Hass und Vertreibung, ereignet sich, als auf kaiserliche Order die Protestanten binnen zwei Tagen Haus und Hof zu verlassen oder ihrem Glauben abzuschwören haben. Protestanten werden getötet, enteignet, in die Flucht getrieben. Katholiken kaufen für billiges Geld der Fliehenden Hab und Gut. Als ein Landstreicher-Pärchen auf der Szene auftaucht, ist es die gemeinsame Verachtung der noch Geringeren, die die Dörfler ein letztes Mal zusammenführt. Die Rott-Bauern selbst bekennen sich erst nach dem Tod der Nachbarin und des einzigen Enkels zur ihrer protestantischen Gesinnung und gehen den Weg in die Fremde. Schlusssatz Rott: „Solang ich mein Inwendig sauber hab, tut mich kein Reiter brechen und biegen! Weib schieb an! Wir gehen, eine neue Heimat suchen!“ Der kaiserliche Gesandte bricht beschämt zusammen.

Moderner Ideologiekritik stellt Schönherr nicht Kritik an der Macht entgegen, sondern den barocken Ruf nach Constantia, der inneren Gewissens-Festigkeit. Auch das ist eine Ideologie. Hier liegt der innere Widerspruch, der Fehler des Textes, der in der Ein-Eindeutigkeit seiner Kritik, der allegorischen Positionierung der Figuren in barocker Trauerspielmanier konservativst religiöse Werte des 17. Jahrhunderts in das 20. hinüberzuretten sucht – gleichzeitig jedoch Elemente zeitgenössischer naturalistischer Gesellschaftskritik einflicht.

Ob man dieses Stück nicht hätte im Staub der Nationalbibliothek belassen können, sei dahingestellt. Hievt man es auf die Burgtheater-Bühne, sollte man wissen, warum. Es in den Schlamm zu setzen, billige Holocaust-Assoziationen einzubauen (ein Berg von Schuhen, Menschen, halbnackt im Kreis getrieben) und den Schluss zu ändern – die katholische Frau des Rott-Bauern ersticht des Kaisers Reiter – genügt nicht. Ein Mord, ein Wort: „Wir gehen, eine neue Heimat suchen!“ Und der Holzkäfig hebt sich zu einem Alpenpanorama, samt Kärntnerlied. Klischees bestätigt? Na also.

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