: Bartträger und andere Barbaren
■ Kanonendonner und neugierige Blicke: Mit einer Begegnung in der Bucht zu Edo begann Japans Aufstieg zur Großmacht. Zwei Ausstellungen erzählen jetzt aus diesem spannenden Kapitel der Welt- und Kunstgeschichte
Es muss eine Begegnung mit Außerirdischen gewesen sein. Am 8. Juli 1853 ging eine US-amerikanische Flotte in der Bucht von Edo (heute Tokio) in Japan vor Anker. Die Schiffe waren groß, schwarz und schwer bewaffnet. Ihre Matrosen trugen Bärte und galten den KüstenbewohnerInnen unter anderem deshalb als Barbaren. Auch die Ankömmlinge hatten keine hohe Meinung von den Menschen an Land, die sich bald zurückzogen, um Verteidigungsstellungen zu bauen. Wiederholt waren schiffbrüchige Walfänger und andere Matrosen in Seenot in Japan einfach massakriert worden. Jetzt drängten die US-Amerikaner auf eine Beendigung dieser barbarischen Sitten und wollten – zum eigenen Vorteil – zugleich mit den Insulanern ins Geschäft kommen. Mit diesem Tag endete die selbst gewählte Isolation und begann eine Geschichte, deren künstlerische Wiederspiegelung jetzt zum Auftakt des Bremer Kulturmarathons „europAsien“ im Paula-Modersohn-Becker-Haus und in der Kunsthalle gezeigt wird.
Über zwei Jahrhunderte lang hatte sich Japan abgeschottet. Nur auf der künstlichen Insel Deshima im Hafen von Nagasaki durften Holländer streng kontrolliert Handel treiben. Doch in der Mitte des 19. Jahrhunderts wollten sich die US-Amerikaner, die damalige Weltmacht Großbritannien und andere europäische Staaten das legendäre Zipangu aus Marco Polos Reiseberichten untertan machen. Doch das Kalkül ging nicht auf. Zwar zwangen die Westmächte den Japanern regelrechte Knebelverträge auf. Aber aus der geplanten Kolonisierung der Inseln wurde nichts. Nach innerjapanischen Machtkämpfen nahmen die Japaner möglichst viele Einflüsse auf und wurden nach wenigen Jahrzehnten militärisch und vor allem industriell mit den Ankömmlingen ebenbürtig.
Unter dem Titel „Japan und der Westen“ beleuchtet das Paula-Modersohn-Becker-Museum dieses vielschichtige Thema. Anlässlich des 100-jährigen Geburtstags des Ostasiatischen Vereins Bremen (die taz berichtete) schildern Farbholzschnitte und Fotografien aus der Zeit der japanischen Verwestlichung zwischen 1860 und der vorletzten Jahrhundertwende das Aufeinandertreffen der Kulturen. Etwas gewagt, aber plastisch spricht der neue Museumsdirektor Rainer Stamm vom japanischen „Sündenfall“. Denn das setzt voraus, dass es eine ursprüngliche Kultur gegeben hat. Doch wie der Vorsitzende des Ostasiatischen Vereins, Arend Vollers, weiß, übernahmen die JapanerInnen zuvor wesentliche kulturelle Einflüsse aus China. Dafür waren die Fischer in der Bucht von Edo im Sommer 1853 mindestens genauso neugierig wie Adam und Eva aus dem Alten Testament. Wenige Stunden nach Ankunft der US-Flotte näherten sich Boote mit Zeichnern den Schiffen. Die mutigen Künstler brachten ihre Bilder bald an Land und verkauften sie dort.
Dieser neugierige und zunächst auch naiv wirkende Blick durchzieht viele ausgestellte Holzschnitte. Diese so genannten Yokohama-e sind eine eigene Bildgattung und dienten der Information und Vermittlung der neuen Eindrücke. Die Zusammenstellung der schon bald von Europäern gesammelten Yokohama-e sind wie eine Zeitreise in die Verwestlichung. Während in einem Bild von streitenden Japanern und Nicht-Japanern die Kulturen noch buchstäblich aufeinander treffen, sind die Japaner wenig später äußerlich kaum noch von den „Barbaren“ zu unterscheiden: Die Abgeordneten des ersten Parlaments trugen 1890 westliche Kleidung, die neuen eisernen Brücken waren mit Japan-Jugendstil-Ornamenten verziert, und das westlich uniformierte Militär übte westlichen Drill – und schlug schon im russisch-japanischen Krieg von 1904 bis 1905 erstmals eine europäische Großmacht.
Vor allen in den ersten Jahren hat aber so mancher Zeichner etwas falsch verstanden: Auf einem Bild rasen zwei Lokomotiven auf einem Gleis aufeinander zu, auf einem anderen konnte sich ein Künstler das ferne Paris nur als Hafenstadt vorstellen, und es dauerte schließlich Jahre, bis die Zeichner die Knopfaugen der Europäer in ihren Holzschnitten darstellen konnten.
Egal: Vermutlich würden sich Japaner auch über die europäische Sicht auf das Inselreich amüsieren. Das dürfte wohl auch für die im Museum gezeigten Fotografien des Venezianers Felice Beato (1830-1903) gelten. Diese ebenfalls in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstandenen Studiofotos von JapanerInnen bedienten vermutlich stark europäische Käuferinteressen und deren Vorstellungen des Exotischen.
Neben Bernhard Hoetgers Majoliken-Zyklus „Licht und Schatten“ konfrontiert die Ausstellung diese alten Bilder in einem Crossover, den der junge Direktor Rainer Stamm im Museum an der Böttcherstraße künftig häufiger wagen will, mit Gegenwartskunst: Der längst berühmt gewordene Fotokünstler Thomas Struth, der seit Jahren immer wieder in Japan arbeitet, steuert ein paar faszinierend gute Familienporträts bei. Und die Düsseldorfer Künstlerin Katharina Mayer spielt mit ihren Porträts von in Deutschland lebenden Japanerinnen mit Erwartungen und sorgt unter anderem mit ihrem Foto einer Japanerin in alemannischem Fastnachtskostüm für angenehme Irritationen.
In die Zeit vor dem „japanischen Sündenfall“ entführt dagegen das Kupferstichkabinett der Kunsthalle. Das Museum hat seine Schatzkammer an Druckgraphiken geöffnet und zum „europAsien“-Programm japanische Farbholzschnitte aus der Zeit zwischen 1680 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts an die Wände des Kabinetts gehängt. Scheinbar noch unbeeinflusst vom Rest der (westlichen) Welt, demonstrieren Katsushika Hokusai (sprich: Hoksai; 1760-1849) und andere Zeichner ihre künstlerische Meisterschaft. Die größtmögliche Einfachheit bei gleichzeitiger höchster Perfektion ist auch für diese japanische Kunstform typisch.
Im Gegensatz zu Europa, wo die KünstlerInnen zunehmend flügge wurden und eigenständig arbeiten, waren diese von den Künstlern gezeichneten und dann von Holzschnitzern auf den Druckstock gebrachten Arbeiten fast ausnahmslos Auftragswerke. Oft dienten sie als Verzierungen für Einladungsbriefe. Landschaften, Gespensterbilder und andere Allegorien sowie Porträts von Schauspielern, Kurtisanen oder gar einer stillenden Frau waren die Motive.
Ihre Einfachheit und Bildkraft hat zunächst französische Künstler wie Toulouse-Lautrec stark beeinflusst und um 1900 auch in Deutschland zu einer Japanbegeisterung geführt. In dieser Zeit sammelte der Bremer Kunsthallendirektor Gustav Pauli Geld und schickte einen Kunsthistoriker mit umgerechnet etwa einer halben Million Mark auf Einkaufstour nach Japan.
Die künstlerische Blütezeit des Holzschnitts war dort schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts vorbei. Durch starke Ankäufe vor allem aus den USA, weiß der Kunsthistoriker Andreas Kreul, kamen die Produzenten nicht mehr nach, die Qualität litt. Also hatte die Begegnung an der Bucht von Edo auch für die Kunst weitreichende Folgen. Doch in einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich dieses Treffen der Kulturen von dem noch berühmteren Meeting des Herrn Kolumbus mit den Bewohnern der von ihm „entdeckten“ Karibikinseln: Die InsulanerInnen vom echten Zipangu/Japan, die sich übrigens die westlichen Techniken teuer einkauften, hatten zwei Weltkriege und wenig mehr als hundert Jahre nach dem Ankern der US-Flotte genug Geld, den westlichen Kunstmarkt aufzumischen und die Preise für die klassische europäische Moderne in ungeahnte Höhen zu treiben. Wenn, was abzusehen ist, außerdem Sushi dem Hamburger Fast-Food-Konkurrenz machen und japanische Roboterdackel bald durch jedes Kinderzimmer laufen, steht unterm Strich wohl der in der jüngeren Weltgeschichte einzige wirkliche Kulturaustausch zwischen dem „Westen“ und einem Land, das bloß eine Kolonie werden sollte. Christoph Köster
„Japan und der Westen“ bis zum 15. April im Paula-Modersohn-Becker-Museum, Böttcherstraße; Katalog: 38 Mark. „Kauft Hokusai. Kunsthalle“ bis zum 20. Mai in der Kunsthalle, Am Wall 207.
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