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Gebrochenes Schweigen

Fünfzig Jahre nach dem Holocaust berichten Überlebende, wie die Nazis sie zu Handlangern der Vernichtung des eigenen Volkes machten. „Sklaven der Gaskammer – Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz“ (Mi. 23.30 Uhr, ARD)

Warum versendet die ARD solch brisanten Stoff zu nacht-schlafender Stunde?

von GITTA DÜPERTHAL

Es ist ein Film, der berührt wie kaum ein anderer. Er handelt vom Töten, direkt und unmittelbar. Er handelt von der Tragödie, dass Nazi-Schergen jüdische Häftlinge zwangen, bei der Vernichtung in den Krematorien von Auschwitz-Birkenau mitzuwirken. Erstmals brechen Häftlinge der so genannten Sonderkommandos ihr Schweigen und berichten. Darüber, dass sie mit den Menschen vor dem Eintritt in die Gaskammern sprechen konnten. „Aber was hätten wir ihnen sagen sollen? Man hätte die Menschen nur noch unglücklicher gemacht“, sagt Henryk Mandelbaum, einer der ehemaligen Häftlinge. Darüber, dass sie die traurigen Gesichter der Menschen immer noch vor ihren Augen sehen, als diese – kurz bevor der SS-Mann die Türen der überfüllten Gaskammer schloss – plötzlich begriffen, dass sie sterben müssen. Darüber, dass sie Zeuge wurden, wie die Tötungsmaschinerie auf Hochtouren gebracht wurde. Wie sie die Gaskammern von Blut, Kot und Erbrochenem immer schneller säubern mussten, damit neue Menschen in blitzblank geschrubbte Räume eintreten konnten, die sie zunächst für Duschräume halten mussten. Manchmal stockt den Zeitzeugen schier der Atem beim Erzählen. Die Qual endloser schlafloser Nächte, des Nicht-Vergessen-Könnens lässt sich an ihren Augen ablesen. „Es war Sklavenarbeit“, sagt Lemke Pliszko.

Dies ist kein glattes, sauberes Geschichtsfilmchen, keine unbeteiligte Chronik im Stile der Guido-Knopp-Geschichtswerkstatt im ZDF, Motto: Man nehme eine schwarze Wand, einige Zeitzeugen und vermarkte diese mit einigen wenigen Sätzen, modisch flott aneinander geschnitten als Häppchenware. Wie bei Claude Lanzmanns Film „Shoah“ beteiligt der Autor Eric Friedler die Zuschauer auf sehr sensible, aber intensive Art an diesem Prozess schmerzhaften Erinnerns. Wenn die Zeugen den Sprung aus der Zivilisation in den entwürdigenden industriellen Massenmord der Nazis schildern, tun sie das auch nach über 50 Jahren auf sehr emotionale Weise und detailliert: „Einer war Rechtsanwalt, ein anderer besaß ein Reisebüro“, erinnert sich ein Überlebender etwa an seine Kameraden bei dem Sonderkommando. So macht er deutlich, wie Menschen aus ihrem Leben gerissen und urplötzlich mitten in jene Hölle eines mörderischen Systems gestürzt wurden. Er redet eindringlich über seine Angst, auch heute noch, sein seelisches Gleichgewicht zu verlieren, während er über die Grausamkeiten berichtet. Da sind diese Bilder im Kopf, die nicht verschwinden wollen: Menschen, die ein SS-Mann lebendig ins Feuer warf. Das Wort „lebendig“ wiederholt er dreimal, seine ganze Qual der Erinnerung legt er in dieses Wort.

Dreieinhalb Jahre lang hat Eric Friedler Kontakt mit seinen Interviewpartnern gehalten und Vertrauen aufgebaut: „Und manchmal war es dann eben doch so, dass die Kamera bereitstand und es plötzlich hieß: „Jetzt kann ich nicht sprechen.“ Aber auch andersrum war Fiedlers Flexibilität gefragt: „Können Sie kommen? Jetzt bin ich bereit zu reden.“ Das Vertrauensverhältnis des SWR-Autors zu seinen Gesprächspartnern wird im Film in jeder Sequenz spürbar. Für Friedler war es „ein ganz außergewöhnlicher Film“. Einige der Zeitzeugen hätten vor allem deshalb ihr Schweigen gebrochen, weil heute – Jahrzehnte nach dem Holocaust – immer häufiger unwidersprochen behauptet wird, die Gaskammern hätten niemals existiert. Doch journalistische Arbeit beinhaltet mehr als Informationsbeschaffung. „Wenn der Schmerz durch die Erinnerungen aufgewühlt und wieder präsent ist, darf man seine Gesprächspartner nicht damit allein lassen“, sagt Friedler.

Und noch ein Thema, das nahezu unbekannt ist, wird im Film dokumentiert. Es ist eine der wenigen Sequenzen im Film, in denen man Zeitzeugen lächeln sieht: In Auschwitz gab es 29 Widerstandsgruppen, wie der Historiker des jüdischen Widerstands, Arno Lustiger, in seinem Buch „Zum Kampf auf Leben und Tod“ berichtet: „Die unglaublichste Form nahm menschliche Tapferkeit zweifellos in den Vernichtungslagern der Nazis an.“ Vergrabene Aufzeichnungen, „die Schriftrollen von Auschwitz“, einst von den Mitgliedern des Sonderkommandos Salman Gradowski, Leib Langfuss, Salman Loewental und einem anonymen Häftling verfasst, geben darüber Aufschluss.

Eine Frage allerdings bleibt offen: Warum versendet die ARD solch einen brisanten Stoff zu nachtschlafender Stunde? Zumal der mittwöchliche Doku-Sendeplatz wegen Gaucks Polittalk noch einmal nach hinten wandern musste. Und warum versteht es das Erste nicht wie viele Dritte, Arte oder das ZDF, solche Dokumentation durch anschließende Gesprächsrunden noch zu vertiefen – und aufzuwerten. Die gleiche Chance vertut das Südwestfernsehen, wenn es am 27. 1. um 21.00 Uhr die Wiederholung zeigt.

Mehr Informationen zu den Zeitzeugen aus den Sonderkommandos unter www.shoah.de

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