: Verschweinung der Republik
DAS SCHLAGLOCHvon KLAUS KREIMEIER
„Rubbeln Sie!“ (Werbung eines deutschen Energiekonzerns für das Rubbeln)
Das Marktgeschehen wird immer unübersichtlicher, aber das macht nichts, denn aus allen Winkeln springen uns niedliche Spaßtierchen an und wollen uns animieren, auf jeden Fall mitzumachen. Der Arbeitnehmer von heute soll sich unablässig scheckig lachen und dabei seine offenbar notorische Neigung, dem Kollegen neben ihm eins auszuwischen, ungehemmt ausleben können. Neuerdings auch elektronisch: Ein Dienstleister im Internet bietet zurzeit Software an, die es erlaubt, „mal eben an den Rechner des Kollegen zu huschen und 100 KB Schadenfreude zu installieren“. Scherzprogramme, die den Mauszeiger daran hindern, auf den Startbutton zu gelangen, oder das Hand-Symbol veranlassen, der Kollegin den Mittelfinger zu zeigen. In realistischer Einschätzung der allgemeinen historischen Stagnation wird darauf gebaut, dass auch im Hightech-trainierten Telekommunikations-Malocher noch immer der alte Spießer steckt. Die Betriebsanleitungen für den richtigen Teamgeist im Großraumbüro koppeln den soliden deutschen Grundsatz, dass Schadenfreude die schönste Freude sei, an aktuelle Mobbing-Strategien an. Sie lassen sich (auch darüber erteilt der Anbieter Auskunft) je nach Bedarf ins Neckische umbiegen oder zur Waffe im permanenten Kleinkrieg weiterentwickeln: „Nur keine falschen Skrupel an den Tag legen. Lachen ist gesund.“
Von einer „Verschweinung“ des praktischen Lebens durch das Ornament sprach vor vielen Jahrzehnten der große Architekt Adolf Loos. Ein Gedanke, den Karl Kraus aufgriff, als er sich mit „der Durchsetzung des Journalismus mit Geistelementen“ auseinander setzte, die nicht nur in der Wiener Presse zu einer katastrophalen Verwirrung geführt habe. Die fortschrittliche Welt betreibe stets aufs Neue „die Renovierung des geistigen Zierats“, die Mobilisierung des poetischen Schnörkels nach der Devise „Schmücke dein Heim“. Also: Sprach-Lametta, linguistischer Ornamentalismus, journalistisches Pirouettendrehen mit den immer gleichen abgeschauten Kunststückchen, die den Leser davon ablenken sollen, dass ihm doch immer nur dasselbe X für dasselbe U vorgemacht wird.
Weder Loos noch Kraus konnten ahnen, welche Dimensionen die Verschweinung der Zivilisation in der sich selbst so bezeichnenden Spaßgesellschaft annehmen würde. Es ist ein keineswegs beruhigender Unterschied, dass der Ornamentalismus der Postmoderne krasser als alle seine Vorgänger seine Abnehmer zu gehetzten Konsumenten abrichtet und den ökonomischen Terror, den er exekutiert, gleichzeitig mit Strategien der Verniedlichung und Verkindlichung verbrämen will.
Schon als Endabnehmer der Energiekonzerne kann und soll man seinen höllischen Spaß erleben – oder vielmehr: sein Geld zum Fenster herauswerfen und dabei sich selbst suggerieren, dass man munter abkassiert. Mein Stromversorger teilt mir jetzt mit, das er seinem Stromtarif einen Namen gegeben habe. Warum muss ein Stromtarif einen Namen haben? Sei’s drum, mein Stromtarif heißt jetzt „Bellezza classic“; ich ändere den Namen leicht ab, um keinen taz-Leser in Versuchung zu bringen.
„Bellezza“, so die Botschaft, sei die neue, „innovative Energiemarke“, und damit ich von den Vorteilen, die „Bellezza“ biete, profitieren könne, habe man meinen Stromtarif eben auf „Bellezza“ getauft. Das wird mir in jenem vibrierenden Marketing-Tremolo mitgeteilt, das mich offenbar veranlassen soll, einen Freudentanz aufzuführen – wie die Familie auf den bunten Bildchen der beigelegten Broschüre, die vor lauter „Bellezza“-Spaß bereits den Verstand verloren hat. Als „besonderes Highlight“ schickt mir mein Stromkonzern eine scheckkartengroße Scheußlichkeit aus Plastik zu, die sich „Bellezza card“ nennt und mit der ich „punkten“, also „beim Shoppen, Tanken und Reisen“ bares Geld sparen soll. Ich bin nun angeschlossen an „Payback, das innovative branchen- und medienübergreifende Bonusprogramm“ und werde – „nochmals herzlich willkommen in der Bellezza-Welt!“ – auf den neuen Konsumtrip via Schnitzeljagd geschickt; ein Punkt ist immerhin ein Eurocent. „Leben bringt Punkte.“ Und: „Punkte wollen leben.“ Ich kann loslegen, sobald ich meine PIN (Persönliche Identifikations-Nummer) freigerubbelt habe: Rubbel-Spaß, Einkaufs-Spaß, Identifikations-Spaß beim Telefonieren und im Internet.
Dass sich die neue Ökonomie, wie jede andere Wirtschaftsform auch, auf einige wenige Grundregeln der Spieltheorie reduzieren lässt, steht außer Zweifel. Doch eine weitere Regel ist hinzugekommen: Zur Belebung der Nachfrage ist der potenzielle Kunde wie ein Kleinkind zu behandeln; will man ihm das Geld effektiv aus der Tasche ziehen, stufe man ihn in die Analphase zurück. Die aktuelle Verschweinung des praktischen Lebens, ja unserer Zivilisation läuft auf der Ebene einer dem äußeren Anschein nach sanften, tatsächlich unter massivem Konkurrenzdruck fortschreitenden Infantilisierung der Gesellschaft ab. Nicht nur die elektronischen Medien und die Werbung funktionieren seit längerem wie die überdrehte Geräuschkulisse eines Kindergartens – auch Politik und Wissenschaft, Kulturbetrieb und Kirche, Armee und Amtsstube kommen nicht mehr ohne den Spaßfaktor, ohne Rubbeln, Kuscheln und ähnliche Kampfansagen an die Verstandeskräfte aus. Das lautmalerische Gelalle der Reklamespots unterspült längst die Statements staatstragender Figuren – nicht nur dann, wenn Scharping mal wieder in einer Talkshow sitzt. Gummibärchen und Teletubbies sind die authentischen Insignien einer Nation, die sich in weich gespülten und kindgerechten Pseudo-Kommunikationen sielt, während unter einer hauchdünnen Decke das allgemeine Mobbing, der krude Kampf um den Vorteil, die tägliche kapitalistische Gemeinheit weitergehen.
In manchen Kommentaren der letzten Zeit war Verwunderung darüber zu hören, dass die bundesdeutsche Fun-Society sich, nahezu im Handumdrehen, zu politischer Aufgeregtheit in Form politischer Generaldebatten hinreißen lässt. Ob CDU-Spendenskandal oder BSE-Krise, Kampfhunde oder Uranmunition, genmanipulierte Nahrung, Rechtsradikalismus oder das plötzliche Geschrei um einen Außenminister, der, wie jeder weiß, einmal ein wackerer Straßenkämpfer war – dieses spaßbetäubte Volk ist offenbar wild entschlossen, keiner Grundsatzdiskussion über seine kulturellen Fundamente auszuweichen. Sieht man genauer hin, liegen die beiden Seiten dicht beieinander. Konsumhysterie bis zur Infantilisierung erzeugt hysterische und nicht minder puerile Prinzipienreiterei – mit anderen Worten: Auch im Kindergarten ist die beste Unterhaltung noch ein mächtiger Skandal. Eine Kommunikation, die sich gefräßig auf die nächste Horrornachricht stürzt wie auf den neuesten Hit, bleibt Pseudokommunikation. Ungehindert aber schreitet die Verschweinung der Republik voran. Die Ernsthaftigkeit, mit der um Ernstes gestritten wird, ist so virtuell wie das Glück, das die Spaßkultur verspricht.
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