„Es geht um die kleinen Geschichten...“

■ Esther Gronenborns alaska.de erzählt vom Alltag im Plattenbau. Ein Interview

Sorgfalt und Engagement sind die Stichworte, die den Debütfilm alaska.de der 34jährigen Wahlberlinerin am besten charakterisieren. Über Monate schrieb sie ihren Laiendarstellern die Rollen auf den Leib, absolvierte einen Anti-Gewalt-Kurs in Kreuzberg und brachte den echten Schauspielern am Set das Nuscheln bei. Nicht zuletzt dank virtuoser Clipästhetik ist die Geschichte um eine Clique Jugendlicher in einer Ostberliner Großsiedlung jedoch alles andere als ein Problemfilm.

taz hamburg: Filme, die glaubwürdig über sozial relevante Themen erzählen, sind in Deutschland eher die Ausnahme. Wo siehst du deine Vorbilder?

Esther Gronenborn: Ich fühle mich inspiriert von englischen Vorbildern wie Ken Loach und Mike Leigh, wobei es momentan hier in Deutschland durchaus eine Aufbruchstimmung gibt. Wer Anfang, Mitte der Neunziger keine Komödien geschrieben hat, hat nie einen Film finanziert bekommen. Das war sehr schade, da gab es extreme Scheuklappen. Es gibt immer noch viel zu wenig Geschichten mit lokalen Bezügen, viel zu wenig Vertrauen in die eigene Kultur – dabei ist gerade die deutsche Gesellschaft momentan voller Stories. In der Beziehung ist die Musik schon weiter, es gibt echte deutsche Techno-und HipHop-Helden, die nicht immer nur nach England und Amerika schielen. Vielleicht entsteht so etwas ja auch im Film.

Du hast dich sehr lange mit den Laiendarstellern auf den Film vorbereitet – kann man sich das zeitlich eigentlich immer leisten?

Ich finde es wichtig, das so durchzuhalten. Mir fehlt in ganz vielen Filmen die Lebendigkeit, häufig gibt es sehr schablonenhafte Figuren. Es geht mir darum, ein Stück Leben ins Kino zu bringen, das im deutschen Kino bisher selten, in letzter Zeit aber häufiger, gezeigt wird: kleine Geschichten, Alltag, gar nicht mal nur sozial schwaches Milieu, sondern eher versteckte Geschichten.

Für mich ist der Film auch ein Statement zu der Debatte um Gewalt unter Jugendlichen, die in den Medien stattfand und sehr oberflächlich war. Den Schrei nach härteren Starfe halte ich wirklich für sehr verfehlt. Der Film kann meiner Meinung nach eine gute Diskussionsgrundlage, nicht nur für Jugendliche, sein – obwohl er bisher noch nicht so wahrgenommen wurde.

Die Gewalt im Film ist ja sehr nachvollziehbar ...

Ja, aber der Film ist andererseits auch keine Entschuldigung für Gewalt, im Gegenteil. Er zeigt die Konsequenzen von falschen Entscheidungen, vor allem der, eine Waffe zu tragen. Wer in Konflikten eine Waffe ins Spiel bringt, ist im Film letzten Endes der Leidtragende.

Dein Film erinnert in seiner Ästhetik sehr an Musikclips ...

Ja, die ganze Geschichte hat sich auch aus der Arbeit an einem Videoclip ergeben. Die Ästhetik wollte ich zwar übernehmen, aber für mich hat sich die Form immer dem Inhalt, der Geschichte untergeordnet. Die Form ist kein Selbstzweck. Ich habe versucht, expressiv mit den Bildern umzugehen, um die Gefühle und inneren Bilder der Figuren zu vermitteln. Die Mittel stammen übrigens nicht nur aus dem Musikvideo-Bereich, sondern auch aus dem Erzählfilm. Auch Tarkowski hat schon auf 33 Bildern pro Sekunde gedreht, um so eine unmerkliche Verlangsamung der Bewegung zu erreichen. Ich glaube, die Ästhetik hilft auch, eine Distanz zur Geschichte zu entwi-ckeln, und das ist wichtig, wenn man richtig hingucken will.

Der Film ist auch sehr spannend und spielt mit verschiedenen Genre-Elementen ...

Das Vorbild war für mich Denn sie wissen nicht, was sie tun. Dort ist es gelungen, die Momentaufnahme eines Lebensgefühls zu machen, das man trotzdem in eine Geschichte verpackt. Ich wollte nicht einfach nur einen atmosphärischen Film machen. Der Film spielt durchaus mit dem Jugend-Genre: es gibt den „Dicken“, den „Kleinen“, aber sie werden als Charaktere eher umgedreht. Der „Dicke“ ist eigentlich der einzige, der die richtigen Instinkte hat ...

Interview: Olaf Tarmas

tägl., Abaton und Zeise