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Kränze, Rosen und mahnende Worte

Vor 56 Jahren wurde das Konzentrationslager in Auschwitz befreit. Die Berliner Initiative „Europa ohne Rassimus“ lud daher am Samstag zu zahlreichen Gedenkveranstaltungen. Trotz heftigen Regens kamen Tausende. Eine Auswahl

Um die regenbogenfarbene Stele mit dem rosa Kegel liegen Blumenkränze. Die Neonfarben des Denkmals strahlen grell in den regennassen Nachmittag am Nollendorfplatz im Berliner Stadtteil Schöneberg. Die rund einhundert Menschen, die sich hier am Samstag zum Gedenken der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus versammelt haben, tragen hingegen hauptsächlich Schwarz und Grau.

Bernhard Weinschütz (Grüne) spricht über „rosa Listen“, den Paragrafen 175 zur strafrechtlichen Verfolgung Homosexueller und die Ermordung Tausender Schwuler in Konzentrationslagern. Die Zuhörer sind hauptsächlich schwule Männer mit kurz geschorenen Haaren und lässig schickem Outfit. Die Betroffenheit ist ihnen anzusehen, als der Abgeordnete von der nach wie vor aktuellen Diskriminierung homosexuell lebender Menschen spricht.

Rosenstraße – Die Frauen

Der kurze Gang zum Mahnmal lässt kaum zur Besinnung kommen. Auch die Kranzniederlegung unter der dreieckigen Mahntafel am U-Bahnhof erfolgt innerhalb von Sekunden. Die Gruppe löst sich mit den Schlussworten der stellvertretenden GEW-Landesvorsitzenden Sanem Kleff auf: „Diese Veranstaltung soll auch ein Ausdruck für unsere Entschiedenheit sein, das Klima für homosexuelle Menschen zu verändern“.

Zwischen den Plattenbauten in der Rosenstraße, unweit des Hackesches Marktes in Berlin-Mitte, schlägt den knapp 150 Gedenkenden ein eiskalter Wind entgegen. Vor allem Frauen sind zu der Veranstaltung der Überparteilichen Fraueninitiative gekommen, um mit Rosen an den mutigen Protest gegen das NS-Regime zu erinnern. Damals stand an dieser Stelle das Sozialamt der Jüdischen Gemeinde. Im Februar 1943 wurden hier fast 2.000 Juden interniert. Sie sollten von dort in Richtung Osten deportiert werden. Eine Woche lang versammelten sich vor dem Gebäude die Mütter, Ehefrauen und Töchter der Internierten und forderten: Gebt uns unsere Männer wieder! Nach einer Woche geschah das Unfassbare: Die Männer wurden entlassen. Heute erinnert ein großes Sandsteinrelief an den beispiellosen Protest während des Nationalsozialismus.

Die Zivilcourage, die diese Frauen in einer fast aussichtslosen Lage gezeigt haben, müsse auch in der Demokratie eine Grundtugend sein, mahnte Rita Süssmuth (CDU) in ihrer Rede. Die ehemalige Bundestagspräsidentin erinnerte daran, dass der Rechtsextrismus seine Wurzeln mitten in der Gesellschaft habe. Das beginne schon, „wenn behauptet wird, es lebten zu viele Ausländer hier“. „Wir dürfen uns nicht an Rassismus und Egoismus in einer reinen Konkurrenzgesellschaft gewöhnen“, so Süssmuth. Unter den Zuhörern ist eine Frau um die 70, den Tränen nahe: „Ich habe damals nicht in Berlin gelebt. Aber zu hören, was die Frauen hier geschafft haben, hat mich sehr bewegt.“

Regenflut am Mahnmal

In der Sandgrube südlich des Brandenburger Tors, auf der ab dem kommenden Herbst das Mahnmal für die ermordeten Juden in Europa entstehen soll, haben sich gegen 17 Uhr knapp 2.000 Menschen versammelt. Die grellen Scheinwerfer, die das offizielle Szenario für die Fernsehkameras ausleuchten, halten dem Schneeregen mühelos stand. Die vielen hundert Grabkerzen, die neben der Bühne aufgestellt das von der parteiübergreifenden Berliner Initiative „Europa ohne Rassismus“ ausgerufene Motto „Wehret den Zuständen“ ergeben, ertrinken hingegen im Wasser. Auch die BesucherInnen, die trotz des Unwetters ausharren, versuchen vergeblich ihre Kerzen am Brennen zu halten.

Mitten in der Menge hat sich ein Grüppchen Nachwuchs-Antifas mit Pippi-Langstrumpf-Aufnähern auf der Hose niedergelassen. Doch in der Mehrzahl sind die ZuschauerInnen schon erwachsen, über vierzig und etabliert. Die zahlreichen JournalistInnen haben sich gleich auf mehreren Podesten in Stellung gebracht, um die Betroffenheit der Menge und der RednerInnen mit ihren Kameras festzuhalten. Sechs Minuten Redezeit hat

Wolfgang Thierse (SPD) laut Programmplan. Der Bundestagspräsident erntet den größten Applaus, als er die Verzögerung der Entschädigungszahlungen an die NS-Zwangsarbeiter eine „Schande“ nennt und an die Firmen appelliert, die noch nicht in den Fonds eingezahlt haben, „endlich ihrer Pflicht nachzukommen“. WIBKE BERGEMANN, PETRA MAYER

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