piwik no script img

Die Provokation im Wald

Schon 1891, drei Jahre vor Fertigstellung des Reichstagsgebäudes, baute sich ein Leutnant eine Kopie in die Mark Brandenburg. Heute ist der „Reichstag von Sommerswalde“ ein buddhistisches Kloster

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Schwante hat aufregende Zeiten hinter sich. Das letzte Mal überraschte das kleine Dorf nördlich von Berlin die Öffentlichkeit 1989. Ein paar bärtige Männer hatten in der Nacht zum 8. Oktober im Pfarrhaus von Schwante die Sozialdemokratische Partei neu gegründet. Markus Meckel gehörte zu den Initiatoren der Veranstaltung. Ibrahim Böhme destillierte sich als Vorsitzender der Ost-SPD aus dem Zigarettenqualm heraus. Dabei war auch die Stasi, die sich in der nahen Bücherei versteckt hielt. Für Informationen aus erster Hand sorgte ein Spitzel in der Pfarrstube: Böhme selbst war Mitarbeiter der Staatssicherheit.

Gut zehn Jahre später herrscht wieder Aufregung in der Dorfstraße. „Fahren Sie nach rechts. Am Ortsschild sehen Sie das Haus schon“, sagen zwei Einheimische, ohne Fragen nach Weg und Örtlichkeit abzuwarten. Seit am Waldrand die buddhistische Klosterschule Dharmakaya eröffnete, schieben sich am Wochenende Autokolonnen dorthin, berichtet ein Anwohner. Aber weniger aus Gründen des Glaubens als vielmehr aus bauhistorischem Interesse strömen die Besucher. Denn die Mönche und Nonnen residieren in einem ehemaligen Schloss, das alle den „Reichstag von Sommerswalde“ nennen.

Die Kuriosität steht auf einer Lichtung: Der weiße Herrensitz ist zwar viel kleiner als das Original. Doch Auffahrt, Geschosse und Gliederung der Fassade zitieren den wilhelminischen Reichstag en detail. Die Kopie wartet auf mit Portikus und Dreiecksgiebel sowie vier Seitentürmchen. Säulen reihen sich vor dem Eingang, zu dem hinauf eine Treppe führt, ganz wie am Platz der Republik. Damit nicht genug. Neben dem Gebäude steht ein zweites Zitat Berliner Repräsentationsarchitektur: ein kleines Rotes Rathaus, aus Backsteinen gemauert, verziert mit neoromanischen Ornamenten.

Detlef Stübs, der als Bauhistoriker die Geschichte des kleinen Reichstags erforscht hat, hält die baulichen Chiffren für eine „ironische Provokation“ gegenüber der Berliner Reichs- und Stadtverwaltung. Der reiche Bauherr Richard Sommer, sagt Stübs, habe sich einen Spaß daraus gemacht, dem „Kaiser zu trotzen“ und sich zum Reichspräsidenten und Stadtoberhaupt en miniature auszurufen. Wahr an der Legende bleibt, dass Sommer den Bau der Nachbildung forciert hat. Fast zeitgleich mit dem Baubeginn nach Wallots Plänen am Spreebogen legte Sommer den Grundstein im Wald von Schwante. Schon 1891, drei Jahre vor der Fertigstellung des echten Reichstags, zog Sommer samt Familie in sein Schloss. Den Stellenwert des Roten Rathauses verhöhnte der Hausherr. Dort wurden die Pferde untergebracht.

Sommers Prunksucht basierte auf dem Reichtum seines Großvaters Carl-August. Der hatte als Bodenspekulant Mitte des 19. Jahrhunderts ein Vermögen angehäuft und dabei auch Immobilien am Pariser Platz erworben, darunter das „Haus Sommer“ direkt neben dem Brandenburger Tor. Dazu kaufte sich der alte Sommer das Dorf Schwante und den einstigen Rittersitz vor Ort.

Richard Sommer, Leutnant a. D. und einziger Erbe der Sommer’schen Güter, gab sich mit dem Gemäuer und dem umliegenden Wald nicht zufrieden. Von den Berliner Architekten Hans Abesser und Jürgen Kröger ließ er ab 1888 eine um zwei Drittel verkleinerte Kopie des Reichstags samt Nebengebäuden errichten, um als „Rittergutsbesitzer“ mit seiner selbst benannten Residenz „Sommerswalde“ vor alten Kriegskameraden, dem höfischen Adel und Staatsgästen, darunter Kemal Atatürk, protzen zu können.

Das Schloss erhielt im Innern 24 Festsäle, Wohn- und Arbeitszimmer in klassizistischer Gestaltung. Als Clou der Prunksucht entschied Sommer, den Fußboden mit Golddukaten zu pflastern. Das Münzamt legte jedoch Einspruch ein. Sommer sollte nicht auf dem Bild des Kaisers herumtrampeln dürfen.

Der Leutnant a. D. spielte trotzdem den Weltfürsten. „Wir wussten nicht, über was wir mehr staunen sollten, über die seltsamen Bauten, den Reichstag, die Moschee oder den Besitzer“, erinnerte sich ein Gardeoffizier bei dem Besuch auf Sommerswalde kurz vor dem Ersten Weltkrieg. „Sommer begrüßte uns mit einem roten Fez mit wallender schwarzer Troddel auf dem Kopf und in roten Pantoffeln. Er führte uns durch die Flucht seiner Gemächer und sagte: Suchen Sie sich die besten heraus, meine Herren.“

Als der Schlosserbauer 1916 im Alter von 67 Jahren starb, wurde der Besitz auf seine elf Kinder verteilt, die Schloss Sommerswalde an den Bauunternehmer Erich Lübbert und einen Großteil der Ländereien an die landwirtschaftliche Genossenschaft „Freie Scholle“ verkauften.

Der flotte Konkurrenzbau zum Reichstag erwies sich für Lübbert als Desaster. Weil schnell gebaut worden war und sich zudem der Untergrund als morastig erwies, begann Sommerswalde zu bröckeln. Lübbert musste Mitte der 20er-Jahre die Kuppel abreißen lassen. Auch den fragwürdigen Glanz Sommers konnte Lübbert nicht fortführen. Obwohl er SA-Mitglied war und der Hitlerjugend ein Haus spendierte, ließen ihn die Nazis links liegen. Zu Ehren gelangte dagegen der neue Besitzer des alten Rittergutes. Vicco von Bülow hielt Hof mit den Größen des Nazi-Regimes und wurde 1935 oberster Protokollchef der Regierung.

Eine Woche vor der Erstürmung des Berliner Reichstags, am 30. April 1945, eroberte die Rote Armee den Reichstag von Sommerswalde. Der Hausherr setzte sich nach Berlin ab, das Schloss wurde von der sowjetischen Militärverwaltung besetzt, später enteignet und als Kommandantur für Schwante genutzt.

Laut wurde es in der Dorfstraße ab da nur noch selten. Zwar nahm die FDJ das Schloss 1952 als Ausbildungsstätte für Pionierleiter in Besitz. Hin und wieder ließ sich auch der damalige FDJ-Chef Erich Honecker blicken. Doch für die Öffentlichkeit blieben Gebäude und Park bis 1991 gesperrt.

Nach fast zehn Jahren Leerstand der 7.000 Quadratmeter großen Immobilie und der Suche des brandenburgen Finanzministeriums nach einem neuen Besitzer residiert seit Ende 2000 Lama Dechen mit ihren buddhistischen Nonnen und Mönchen im Schloss. Wenn Mönch Tashi heute durch die Gebetshalle im einstigen Festsaal, die Bibliothek, Wohn- und Seminarräume führt, erinnert wenig an die Tage Richard Sommers. Das Gebäude hat die Zeit ohne Nutzer zwar ohne große Schäden überstanden. Doch ohne Kuppel, durch die Abrisse der Sowjets im Innern und nach der Sanierung von 1985 durch die DDR wirkt er wie ausgeräumt von der eigenen Vergangenheit. Als wäre es die Ironie der Geschichte, teilt er damit das Schicksal des Originals.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen