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In der Zypernfalle

aus Nikosia KLAUS HILLENBRAND

Es empfiehlt sich nicht, an der Hermes-straße im Zentrum Nikosias auf einen Bus zu warten. Es könnte dauern. Zum letzten Mal hat hier, an dem verrosteten Stoppschild nahe dem Olympus-Hotel, vor gut 26 Jahren ein Omnibus Fahrgäste aufgelesen. Es gibt auch gar keine Passagiere mehr. Die Fenster der zweigeschossigen Lehmhäuser sind nur mehr schwarze Höhlen. Das Olympus steht leer. Manche Mauern sind unter der Last der Zeit zusammengebrochen. Eine ausgeblichene Reklametafel wirbt für Maggi-Würze.

Es wird dringend davor gewarnt, die Hermes-Straße zu verlassen oder gar die schmalen grünen Flächen zu betreten, auf denen zwischen den Häuserruinen die Natur die Stadt zurückerobert. Sie sind vermint. Und überhaupt ist das Betreten dieses bizarren Streifens eigentlich verboten. Noell Oflynn, der lange, schmale Ire von der UN-Friedenstruppe lässt sich erst ein Papier unterschreiben, das die Blauhelme von jedweder Haftung befreit, bevor er seine Besucher in die Pufferzone zwischen der Republik Zypern und dem türkisch besetzten Norden führt. „Zoni nekri“ heißt das Gebiet bei den Griechen, die tote Zone. Hier leben nur noch Katzen. Das, was einmal die City einer Großstadt war, zerfällt langsam zu Staub. Die Straße ist kaum mehr passierbar. Wenn Noell seinen Vortrag unterbricht, wird es still. Beunruhigend still. Nur von Ferne ist das Hupen von Autos zu hören.

Dieses menschengemachte Katastrophengebiet könnte in wenigen Jahren zur Außengrenze der Europäischen Union avancieren. Zypern will in die EU, und Brüssel hat versprochen, dass die griechische Restrepublik Mitglied werden darf – trotz türkischer Besetzung des Nordens der Insel.

Vermintes Beitrittsgebiet

Wirtschaftlich, das betonen die Gesprächspartner im quirligen Süden von Nikosia immer wieder, wirtschaftlich steht alles zum Besten. Bei der letzten turnusgemäßen Prüfung der EU-Beitrittskandidaten Anfang November 2000 erhielt Zypern glänzende Noten und setzte sich damit an die Spitze aller potenziellen Neumitglieder. „Zypern besitzt eine funktionierende Marktwirtschaft und sollte in der Lage sein, mit den Kräften des Marktes innerhalb der Union zu bestehen“, heißt es da. Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei 17.100 Euro im Jahr und damit bei 81 Prozent des EU-Durchschnitts – mehr als manche heutigen EU-Mitglieder. Das Wirtschaftswachstum betrug zuletzt 4,5 Prozent, und die Arbeitslosigkeit liegt bei nur 3,6 Prozent. Regierungssprecher Michalis Papapetrou ist sich sicher: „Bis Ende 2001 werden wir auch die restlichen Probleme gelöst haben.“

Doch da ist noch diese UN-Pufferzone, hinter der der türkische Nordteil der Insel beginnt, mit viel weniger Wachstum, Boutiquen, Schmuckgeschäften, BMWs, aber mit mehr Panzern und 35.000 Soldaten. Die Wirtschaftsdaten der Republik Zypern mögen noch so herausragende Zahlen aufweisen – in Wahrheit ist die Mitgliedschaft der Insel noch lange nicht ausgemacht. Und nicht nur das: Zypern, jahrzehntelang Zankapfel zwischen Griechenland und der Türkei, könnte letztlich dazu beitragen, dass die ganze Osterweiterung der EU in Gefahr gerät. In Deutschland, aber auch anderswo wachsen die Bedenken, dass man sich mit der Insel auch gleich den gesamten griechisch-türkischen Konflikt aufladen und die Beziehungen zu Ankara nachhaltig schädigen könnte.

Das Parlament der Niederlande lehnte einen Beitritt Zyperns unter den jetztigen Bedingungen strikt ab. Das wiederum stößt in Griechenland, dem natürlichen Verbündeten der griechischen Zyprioten, auf Unverständnis. Athen droht damit, den Beitritt der Osteuropäer mit einem Veto zu blockieren, sollte Zypern bei der Erweiterung leer ausgehen. Europäische Diplomaten in Nikosia nehmen diese Worte ernst: Der Osteuropa-GAU in der EU könnte durchaus eintreten, befürchten sie. Im schlimmsten Fall könnte Griechenland Unterstützung aus Südeuropa erhalten, die nördlichen EU-Staaten so isolieren und einen der bisher größten Konflikte in der EU heraufbeschwören, orakelt man in Nikosia. So taucht die Überwindung der Teilung Zyperns, für die man sich bisher nur mäßig interessierte, plötzlich ganz oben auf der Agenda in Europa auf.

Noch vor wenigen Jahren überließen die Europäer es den USA, bei den UN-Zypern-Gesprächen Druck zu machen. Jetzt ist der deutsche Botschafter in Nikosia an den Verhandlungen beteiligt, und bei der letzten Genfer Runde war auch EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen dabei – ein deutliches Zeichen dafür, wie wichtig eine Zypern-Einigung für Berlin und Brüssel geworden ist.

„Wir möchten ja eine Lösung des Zypern-Konflikts vor einer EU-Mitgliedschaft, aber gleichzeitig glaube ich, dass es den Prinzipien der EU widerspräche, wenn ein kleines Land dafür bestraft würde, dass die Türkei einen Teil besetzt hält“, so Zyperns Regierungssprecher Papapetrou gegenüber der taz. Ob die Zypern-Gespräche aber überhaupt weitergehen, entscheidet sich in diesen Tagen in Nikosia. UN-Vermittler de Soto bemüht sich heute, den Chef der Zyperntürken, Rauf Denktasch, zur Teilnahme zu überreden. Der hatte angekündigt, er werde nur dann in Genf auftauchen, wenn sein Staat von Ankaras Gnaden international anerkannt wird.

Doch nicht nur Europa im Allgemeinen und Griechenland im Besonderen mischen im Pokerspiel um Zypern mit. Mit die besten Karten hält die Türkei, die einen Beitritt der Insel vehement ablehnt. Rauf Denktasch droht mit schöner Regelmäßigkeit mit Krieg, sollten die Zyperngriechen die europäischen Weihen erhalten: „Dann werden die griechischen Zyprioten einen so genannten kleinen Krieg beginnen und möchten am liebsten die EU in einen Krieg gegen die Türkei hineinziehen“, so Denktaschs dunkles Szenario. In Ankara will man überhaupt nicht einsehen, wieso das von Athen protegierte Zypern EU-Mitglied werden soll, während man selbst von Jahr zu Jahr weiter vetröstet wird.

Noch ist das Pokerspiel in vollem Gang – allerdings zu Bedingungen, bei denen ein wahrer Spieler kein Blatt aufheben würde. Bei den Zypern-Gesprächen in Genf tritt als weiterer Teilnehmer die UNO auf, unter deren Ägide sich Inselgriechen und -türken einigen sollen. Doch bei bisher fünf Runden sind die Beteiligten, Zyperns Präsident Glavcos Clerides und der Zyperntürke Denktasch, noch nicht einmal zu Verhandlungen zusammengekommen. Der peruanische UN-Vermittler Alvaro de Soto hat den undankbaren Job, seine Ideen erst in dem einen Hotelzimmer Clerides und dann in einem anderen Denktasch vorzutragen. „Die eine Seite sagt, ihr gehöre der Mond, und die andere Seite beharrt aber darauf, sie sei im Besitz des Mondes und könne davon keinesfalls etwas abgeben. Nun, wie wäre es mit einem Stück Sonne?“ beschreibt die UN-Sprecherin in Nikosia, Sarah Russel, den mühsamen Verhandlungsweg. Tatsächlich bieten die Zyperngriechen eine Föderation an, bestehend aus zwei Bundesstaaten mit weitgehender Autonomie. Weiter will man nicht gehen.

Pokerspiel ohne Mitspieler

Denktasch beharrt auf einer Konföderation, also einem losen Staatenbund, in dem seine Gänsefüßchenrepublik endlich zu internationaler Anerkennung käme – unannehmbar für die Griechen. Scheitern die UN-Verhandlungen und wird die südliche Restrepublik Zypern dennoch Mitglied, könnte das von Ankara zum Anlass genommen werden, die Teilung endgültig zu zementieren – ganz im Sinne von Denktasch. Schon kursieren in Ankara Planspiele für eine völlige Übernahme Nordzyperns in den türkischen Staat.

Die griechischen Zyprioten wissen genau, dass man anderswo in Europa nur darauf wartet, sie für ein Scheitern der Zypern-Gespräche verantwortlich zu machen, um damit einen Trumpf gegen einen EU-Beitritt in der Hand zu haben. So stimmte Zyperns Präsident Clerides denn auch jüngst den vorsichtig „Ideen“ genannten Vorschlägen von UN-Vermittler Alvaro de Soto prinzipiell zu. Darin werden der zyperntürkischen Minderheit weitreichende Rechte in einem gemeinsamen Staat zugebilligt. In dem Papier ist von einem „gemeinsamen Staat“, bestehend aus zwei „Teilstaaten“, die Rede. Letztere erhalten weitgehende Autonomie, in Ersterem ist die zyperntürkische Minderheit mit weitreichenden Rechten ausgestattet P ein kunstvoll gedrechselter Kompromiss zwischen Staatenbund und Bundesstaat. Doch bei den Zyperntürken stieß auch dieser Vorschlag auf Ablehnung. Je mehr aber die Zyperngriechen der deutschen Forderung nach einer „flexibleren Position“ entsprechen und die Zyperntürken als die wahren Bremser dastehen, desto schwieriger wird es für die EU-Staaten, mit einer logischen Begründung den Ausschluss Zyperns aus dem europäischen Club aufzuwarten. Das weiß man auch in Nikosia und verhält sich entsprechend.

Sollten die UNO-Verhandlungen in Genf in der nächsten Woche scheitern, dann steht der EU eine schwierige Entscheidung bevor. Wird Zypern EU-Mitglied, steht ein Krach mit der Türkei mit unabsehbaren Konsequenzen ins Haus. Bleibt Zypern draußen, droht ein Scheitern der Osterweiterung am Veto Griechenlands. Auf die lange Bank schieben lässt sich das Problem nicht. Zyperns Regierungssprecher Papapetrou erklärte: „Wir erwarten absolut, in der ersten Erweiterungsrunde dabei zu sein.“

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