: Beelzebub Boris
von JENNI ZYLKA
Sprichworten wird nachgesagt, in ihnen stecke zumindest ein Körnchen Wahrheit. Was der Volksmund schon immer über Boris Becker wusste, als er „Rote Haare, Sommersprossen sind des Teufels Artgenossen“ dichtete, kam aber erst in der letzten Woche ans Tageslicht.
Eine Chronik:
1967 wurde Boris in Leimen geboren. Leimen liegt im Rhein-Neckar-Kreis, hat über 25.000 Einwohner und einen auffälligen Spiegelsaal im Alten Rathaus. Außerdem ist „jemanden leimen“ ein üblicher Ausdruck für „jemanden belügen“ oder „hinters Licht führen“.
Der junge Becker hatte eine recht unerfreuliche Kindheit. Gezwungen, mit den Mädchen zu trainieren, stotterte er sich unsicher und von den weiter entwickelten Sportskameradinnen eingeschüchtert durch seine Pubertät. Eine ehemalige Klassenkameradin erinnert sich an ihn als „einen verschlossenen, irgendwie merkwürdigen Jungen, der selten sprach. Es war etwas Seltsames um ihn . . .“
Der Pakt mit dem Bösen muss irgendwann kurz vor dem 7. Juli 1985 stattgefunden haben: An diesem Tag besiegte der junge Boris in Wimbledon den US-Amerikaner Kevin Curren mit einem Matchball, der, wie die Sportreporter damals übereinstimmend feststellten, „kaum von Menschenhand“ geschlagen worden sein konnte.
Von diesem Tag an ist seine Karriere lückenlos dokumentiert: sportliche Erfolge noch und nöcher, 49 Turniersiege errang der Tennisprofi, viermal wurde er zum Sportler des Jahres gewählt.
Privat entwickelte sich der unsichere, stets hektisch blinzelnde Rotschopf langsam aber stetig zu einem Mann von Welt, einem Salonlöwen und Bonvivant, wie ihn der Sport noch nie gesehen hatte. Mit 26 heiratete er Barbara Feltus. Eine Schein-Verbindung, nur angelegt, um seine dunklen Machenschaften weiterhin von der Öffentlichkeit abzuschirmen. Aber immer wieder blitzten Hinweise, Zeichen auf den anderen Boris auf, die man nur zu lesen wissen muss:
In den 80ern designt der Eishersteller Schöller ein Eis am Stiel, das wie ein Tennisschläger aussieht. „Bum Bum“, angelehnt an Beckers Spitznamen „Bum Bum Boris“, besteht aus Milchspeiseeis mit einer zahnschädigenden, süßlich-roten Glasur, dazu ein blauer Plastikstiel mit einem Kaugummi darin. Tausende Kinder ziehen sich durch diesen vom Tennisprofi ausgelösten Boom Karies und Paradentose zu. Bei einer genauen Betrachtung fällt auf, dass „Bum Bum“ (genau wie jeder Tennisschläger) gleich drei antik-ägyptischen, prächristlichen Machtinsignien nachempfunden ist: dem Krummstab „Heqa“, der Geißel „Nechacha“ und dem so genannten Henkelkreuz „Ankh“. Ein mit so viel verschiedenen Zeptern ausgestatteter Herrscher hat eine ultrastarke magische Kraft, sowohl im positiven, als auch im negativen Bereich.
1996 macht Boris, das Vorbild für Millionen Kinder, einen Werbespot für Nutella, in welchem er mit unschuldigem Blick ein Messer ableckt. Nachahmer sind zu befürchten, das Ganze wird als die „Messer-Affäre“ bekannt. Ferrrero ist alarmiert, macht einen Rückzieher und gibt bekannt, dass es sich nicht um ein Messer sondern um einen „Streicher“ handelt. Der Imageschaden ist dennoch groß.
1999 sagt Boris Becker in einem Clip für AOL, dass „sogar meine Frau“ ihm geraten habe, ins Internet zu gehen. Das „sogar“ impliziert zwischen den Zeilen den Hinweis auf die nie ernst gemeinte Beziehung zu seiner Vorzeigegattin: „Sogar meine Frau“ (dieses dumme Stück Brot, das nie mehr war als meine Maske für die Öffentlichkeit). Außerdem bekräftigt Becker mit seiner Entscheidung seine Intention zur Machtübernahme: Das Internet, mit seinen unergründlichen Wegen, seinen Möglichkeiten und seiner Bedeutung, ist die Kirche der Zukunft. Und Becker ihr dunkler Herrscher.
Das Jahr 2000 kommt. Boris Becker wird 33. Der Teufel, wenn er denn von jemandem Besitz ergriffen hat oder sogar mit dem Gedanken spielt, im Körper eines Menschen aufzuerstehen, macht dies stets in dem Alter, in dem Jesus ans Kreuz genagelt wurde: Mit 33.
In diesem Jahr trennt sich Boris von seiner Frau. Er kann und will seine Gesinnung nicht länger verbergen und sucht eine Partnerin, die zu ihm passt, die mit ihm zusammen die Weltherrschaft, die dunkle Seite der Macht genießen kann. Seine Wahl fällt auf die Rödelheimerin Sabrina Setlur, die ihre Karriere ein paar Jahre zuvor als Schwester S. (S.!) begonnen hat (siehe Kasten). Sie trägt bevorzugt schwarz, lacht so gut wie nie, und ihre Texte handeln von Rache. Die Bild-Zeitung berichtet von einer operativen Nasenkorrektur. Oder hat sie sich drei kleine Ziffern wegätzen lassen? Ihre Posse (ein modernes Wort für „Anhänger“) besteht aus dem Soulsänger Xavier Naidoo, der vor allem durch einen fragwürdigen Umgang mit dem Christentum aufgefallen ist („Mannheim ist mein Zion“), und dem Provokateur Moses P. Alle sprechen hessisch.
Im Jahr 2001 bekennen sich Boris und Sabrina zu ihrer Beziehung. Die Täuschung ist perfekt: Während die ganze Welt, allen voran das auf diesem Auge blinde Becker-Hofblatt Bild, von der „schönen Geliebten“ und dem jungen Glück schwärmen, spinnen die beiden ihre unsichtbaren, aber starken Fäden. Die „Pantherfrau“ (Bild) Sabrina trägt zum zweiseitigen Bild-Special nur eine einzige Aussage bei: „Beklag dich bloß nicht. Ich bin wie irre rumgelaufen, um einzukaufen. Ich war sogar bei The Gap. Weißt du eigentlich, wie weit das ist?“
„Gap“ heißt auf Deutsch „Lücke, Spalte, Zwischenreich“. Zwischenreich. Etwas, in dem man verschwindet. Kein Wunder, dass sie über die Entfernung jammert. Ein Anagramm von Boris Becker ist „Bock Eber Sir“. In Sabrina Setlur steckt „Baal irrte nur“ (weil sie stärker ist, als der Dämon Baal) bzw. „Ablass Tier run“ und „Aral triebs uns“. Zusammen sind sie stark und mächtig.
„So bring ich wohl das Böse zur Erscheinung, als Geist der Sonderheit und der Verneinung, doch neue Welt erschafft mein Geisterorden.“ (Christian Morgenstern)
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