: Blas bläst den neuen Tango
■ Das „Blas Rivera Quintet“ schwelgte am Samstagabend in Tangogefühlen
Es gibt in Jazzclubs eindeutig Bier- und Wein-Veranstaltungen! So direkt wie am Samstag abend ist mir das vorher selten ins Auge gefallen, aber beim Konzert des Blas Rivera Quintets regierte im „Moments“ eindeutig die Rotweinfraktion. Die paar Biere wirkten direkt vulgär neben all diesen Weingläsern, mit denen sich meist Paare oder Freundinnen im etwas reiferen Alter zuprosteten. Der Tango ist im Trend, und er zieht ein anderes Publikum an als andere Veranstaltungen, die von Radio Bremen 2 und „Sparkasse in concert“ – wie lange noch? – organisiert werden. Da konnte man schon Befürchtungen hegen, es würde schwül werden auf und vor der Bühne, und die musikalischen Klischees würden bis zum letzten Tropfen ausgemolken. Dazu dann auch noch die Ankündigung, ein tanzendes Paar würde die Musik auch optisch zum Leben erwecken. Es drohte „Der letzte Tango in Bremen“.
Doch der argentinische Saxophonist Blas Rivera entpuppte sich als kongenialer Nachfolger des Tango-Erneuerers Astor Piazolla. Wie dieser geht er an die Essenz des Tango, lässt all die sentimentalen Ausschmückungen weg und spielt ihn sehr modern, jazzig, dabei sowohl intellektuell wie auch emotional. Dies ist eher Tango zum Zuhören als zum Mittanzen, und nur einem professionellen Tänzerpaar wie Paul Ajaujo und Laure Quiquempois konnte es gelingen, den feinsinnigen Rhythmus- und Stimmungswechseln des Trios auf der Bühne mit eleganten, schwerelosen Bewegungen zu folgen.
Anders als sein Landsmann Gato Barbieri (der einst den „letzten Tango in Paris“ komponierte) bläst Blas Rivera das Tenorsaxophon eher im- als expressionstisch. Er schreit die Gefühle nicht heraus, er bricht die Form nicht durch free-jazzige Ausbrüche auf, sondern arrangiert seine Tangos mit einer sehr feinsinnigen, genau kalkulierten Struktur. Das Gefühl ist bei ihm nie ungefiltert, sein Ton ist kultiviert, dabei variantenreich und warm. Begleitet wurde er von der Violinistin Ana de Oliveira, die mit ihrem Instrument nicht etwa schmachtet, sondern eher mit einzelnen schrillen Dissonanzen in die Tangoseligkeit hineinsticht wie mit Dolchstichen – vergleichbar mit der Geige bei Piazolla. Pianist Eduardo Janibelli hatte dagegen einen eher jazzzig-romantischen Ansatz – sein Ton entsprach noch am ehesten den landläufigen Vorstellungen vom Tango.
Pianist, Geigerin, Tänzer – sie alle kamen seltsamerweise statt aus Argentinien aus Brasilien, und auch Blas Riveras selber hat lange in Rio gewohnt und dort diese Formation zusammengestellt. Vielleicht klingen seine Tangos deshalb nicht so wehmütig, sondern eher sonnig und abgeklärt. Wehmut machte sich bei diesem ansonsten sehr angenehmen Konzert nur breit, als Rivera in einer seiner ironischen Ansagen das Publikum, das sich durch Schneegestöber ins „Moments“ gekämpft hatte, mit Beschreibungen des wunderschönen Wetters in Brasilien quälte, wo er noch vor einer Woche am heißen Strand gelegen habe. Das tut nicht Not, Herr Rivera! Aber vielleicht erklärt ja dieser Kontrast zwischen Musik und Wetter, warum gerade die Finnen am schlimmsten unter der Tangosucht leiden.
Wilfried Hippen
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