: Ein Hauch von Revolution
Die „Galerie der Romantik“ verlässt das Schloss Charlottenburg. Caspar David Friedrich, Karl Friedrich Schinkel und Carl Blechen ziehen zurück auf die Museumsinsel. Um drei Bilder wird noch gestritten
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Ah, das kenn ich doch. Die Stimmung hebt sich, kaum trifft man im Museum auf alte Bekannte. Franz Krügers „Ausritt zur Jagd“, mit einer Koppel von gierig schnuppernden Hunden, gehörte zu den Schätzen meiner Kindheit. Ich sammelte Hundebilder.
Wiedererkennen steigert die Intimität des Museumsbesuchs, und die war in der „Galerie der Romantik“, die 1986 im Neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg als Dependance der Nationalgalerie eröffnet wurde, in hohem Maße gegeben. Denn in den Siebzigerjahren erreichte die romantische Malerei eine neue Popularität. Mir schenkte mein Freund „Der einsame Baum“ von Caspar David Friedrich als Poster, das lange über dem Bett hing. Damals studierten wir Kunstgeschichte in Marburg und waren mitgerissen von einer progressiven Lesart von Karl Friedrich Schinkel und C. D. Friedrich. Ein Hauch von Revolution wehte durch ihre gotischen Ruinen und tief verschneiten Wälder. Verbotenes ließ sich in der altdeutschen Tracht entdecken, in die Friedrich seine Gestalten oft kleidete und die als Erkennungszeichen revolutionär gesinnter Studenten in Verruf geraten war. In jedem der halb verdorrten, halb grünenden Bäume der Landschaften Friedrichs sahen wir ein Symbol politischer Hoffnung gegen die Restaurationszeit. Die großartigen Architekturvisionen, in denen Schinkel antike Tempelstädte und gotische Dome wiederauferstehen ließ, waren keinesfalls länger als rückwärts gewandte Schwärmereien zu verstehen, sondern eindeutig als Protest gegen die kleingeistige Gegenwart.
Kein Wunder, dass mich in Berlin die Eröffnung der „Galerie der Romantik“ begeisterte, denn dort hingen alle diese Bilder. Im Vorwort des Kataloges ging Dieter Honisch, der Direktor der Nationalgalerie, dies utopische Potenzial allerdings sehr nüchtern an. „Diese Kunst ist eine zutiefst bürgerliche, und sie darf nicht als Dekoration von Repräsentationsräumen missverstanden werden“, schrieb er. Deutlich hört man daraus das Misstrauen gegenüber den Schlossherren, das auf einem Streit zwischen der Verwaltung der Schlösser und Gärten und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz beruhte. Es ging um den Besitz von drei Hauptwerken von Friedrich („Mönch am Meer“, „Abtei im Eichwald“, „Morgen im Riesengebirge“). Rechtlich waren sie der Preußenstiftung zugesprochen worden. Der damalige Chef der Schlossverwaltung schlief, aus Unlust wohl, während der Eröffnungspressekonferenz ein – oder sah zumindest so aus. Der Standort der Galerie im Schloss aber ließ die Querelen ruhen.
Von dort wird die Sammlung nun wegziehen, zurück in die Alte Nationalgalerie. Dort werden die Maler der deutschen Romantik und des Biedermeiers in einen ästhetisch erweiterten Kontext der Kunst des 19. Jahrhunderts gestellt. Das ist beschlossen, seit die Museen in Ost- und Westberlin wieder einer Stiftung angehören. In der Alten Nationalgalerie begann 1876 die museale Geschichte der Sammlung, die 1939 über kriegsbedingte Auslagerungen in den Westen geriet. Ob jene drei Hauptwerke Friedrichs den Umzug mitmachen, ist nicht entschieden.
Enden wird mit der Schließung am 18. Februar auf jeden Fall die schöne Möglichkeit, mit den Augen zwischen den Bildern und den Blicken in den Charlottenburger Schlosspark zu wandern, der dabei unversehens selbst das Aussehen eines romantischen Gemäldes annimmt. Die Krähen, die sich in den kahlen Baumspitzen sammeln, scheinen direkt aus den Bildern dorthin geflogen zu sein. Ein Teil der Werke geht auf Ausstellungstournee, bis im Dezember die sanierte Alte Nationalgalerie wieder geöffnet wird.
Aus seiner Stellung als Lieblingsmaler hat Blechen inzwischen Friedrich verdrängt. Ihn lernten wir im Studium kennen als den Maler, der rauchende Fabrikschornsteine in die Kunst einführte. Tatsächlich hängt jenes „Walzwerk Neustadt-Eberswalde“, das dunkle Qualmwolken in einen leuchtenden Himmel ausstößt, auch in der Galerie. Doch mehr noch begeistert heute die skizzierende Malweise, mit der Blechen feste Bedeutungsschichten aufriss. Im Wüsten und Leeren seiner Bilder lässt sich jetzt leicht ein Vorgriff auf die malerischen Selbstreflexionen des 20. Jahrhunderts sehen.
Lange verdächtig hingegen blieb mir die Abteilung Biedermeier. Da gibt es die fotografisch genauen Bilder eines Wiener Malers mit dem passenden Namen Waldmüller. Ein Kopist, der für private Auftraggeber Bilder aus den Museen nachmalte, erzählte mir einmal, wie schrecklich er sich mit den Lichtreflexen plage, die auf jedem Nagel der Kinderfinger in Waldmüllers Bildern tanzen. Und Waldmüllers Bilder wimmeln von Kindern.
Nach dem Auszug der Galerie bleibt den Romantik-Pilgern in Charlottenburg noch immer der kleine Schinkel-Pavillon mit Werken von Schinkel, Blechen, Carl Rottmann, Friedrich und Eduard Gaertner. Sein Besuch hatte schon immer etwas von einem Geheimtipp an sich. Bis 1986 hingen dort sogar die großen Friedrich-Bilder. Noch immer befriedigt er persönliche Entdeckerfreude, denn wo sonst schon darf man Entwurfszeichnungen von Schinkel schlecht beleuchtet unter einer Treppe ausfindig machen. Das hat etwas von Authentizität, wie sie eine klar geordnete Museumskonzeption nie erreicht.
Galerie der Romantik, Schloss Charlottenburg, Dienstag–Freitag 10–18 Uhr, noch bis zum 18. Februar
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