: Im Land der alten Nazis
Lothar Ulsamer soll den „Zukunftsfonds“ der deutschen Wirtschaft leiten. Seine Dissertation disqualifiziert ihn
Seit jeher streben in Deutschland nur die Besten ganz nach oben. So auch an die Spitze des „Zukunftsfonds“ der deutschen Wirtschaft, der bis heute noch keinen der ehemaligen Zwangsarbeiter entschädigt hat: Lothar Ulsamer aus der Firmenzentrale von DaimlerChrysler soll es dort richten.
Um die hervorragende Eignung dieses Kandidaten zu ermessen, empfiehlt sich ein Blick in seine Doktorarbeit aus dem Jahre 1987. Ihr Titel: Zeitgenössische deutsche Schriftsteller als Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt. Darin wollte Ulsamer den Nachweis führen, dass viele Autoren, allen voran natürlich Heinrich Böll, in ihren Werken Gesetzlosigkeit sowie destruktives Denken predigten und damit schuld waren am Terrorismus. Alles, was links ist, gilt Ulsamer als Ausgeburt des Bösen. Mit dieser verblüffend engstirnigen Sicht der Dinge liest sich die Arbeit eher wie der Beitrag einer schwadronierenden Stammtischintelligenz. Aber Doktorvater Lothar Bossle war zufrieden, und auch dem Weltkonzern DaimlerChrysler genügte es.
Delikat wird die Sache jedoch, da Ulsamer in seiner Arbeit auf „die Frage des Einflusses ‚alter Nazis‘ in der Bundesrepublik“ zu sprechen kommt – ein Thema, das seine Qualifikation für den Posten an der Spitze des „Zukunftsfonds“ berührt. Gerade die erfolgreichen Karrieren alter Nazis in der neuen Bundesrepublik waren für viele Schriftsteller Grund zur Beunruhigung. In dem Kapitel „Die Bundesrepublik das Land der ‚alten Nazis‘?“ schreibt Ulsamer: „Bölls allgemeiner Verdacht gegen die politische, wirtschaftliche und soziale Führungsschicht, sie bestehe zu einem nicht unerheblichen Teil aus ‚alten Nazis‘“, sei ganz abwegig und „durch wissenschaftliche Erkenntnisse nicht gedeckt“. Auch Hans Magnus Enzensberger, „der gleichfalls die ‚alten Nazis‘ in der Bundesrepublik entdeckt zu haben glaubt“, liege völlig falsch. Durch „die bewußte Heraushebung und Verallgemeinerung einzelner unerheblicher Vorgänge“ produzierten diese Autoren ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit. Und Ulsamer wird nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die wahre Gefahr von links kam.
Mit der 1945 in Deutschland verordneten „geistige(n) Neuausrichtung“ war für Ulsamer offenbar alles erledigt. Von „alten Nazis“ spricht er deshalb stets nur in Anführungszeichen. All die Amtsträger, Professoren, Richter des Dritten Reichs, die in der Bundesrepublik ihre Karrieren ungeniert fortsetzen konnten, kommen bei ihm nicht vor. Nur den Fall des früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten und vormaligen Kriegsmarinerichters Hans Filbinger erwähnt er kurz in einer Fußnote. Unterschlagen wird dessen Satz: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ Damit rechtfertigte Filbinger noch drei Jahrzehnte später sein früheres Schaffen – und dokumentierte so eine Kontinuität, die von Böll und anderen angeprangert, von Ulsamer dagegen hartnäckig bestritten wird. In Ulsamers Augen war Filbinger Opfer einer „Diffamierungskampagne“: „Historisch und moralisch waren die Attacken nicht gerechtfertigt“!
„Der von einer pessimistischen Grundhaltung allgemein getragenen Schwarzmalerei muss Einhalt geboten werden, wenn wir unsere Zukunft sichern wollen“, forderte Ulsamer. Dieser Satz gibt einen Vorgeschmack davon, wie Ulsamer an der Spitze des „Zukunftsfonds“ seine Wirkung entfalten könnte: Zukunft sichern durch Optimismus und Schönfärberei!
Mit solchem einseitig rechtsdrehenden Weltbild schien Ulsamer der deutschen Wirtschaft wohl bestens qualifiziert, um an der Spitze ihres Zukunftsfonds dafür zu sorgen, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit nicht in die falschen Hände geriete. Der zunehmende Druck könnte das verhindern: Der Chefposten beim Zukunftsfonds soll jetzt immerhin öffentlich ausgeschrieben werden.
WOLFGANG RIELAND
Lothar Ulsamer: „Zeitgenössische deutsche Schriftsteller als Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt“, Deugro-Verlag, Esslingen [3]1989.
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