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Kuck mal, wer was spricht

Sprache und Kultur bringen Wettbewerbsvorteile, lokale Eigenheiten haben kaum Chancen auf dem Markt der Anglizismen. Heute findet in Berlin die „Nationale Startkonferenz zum Europäischen Jahr der Sprachen 2001“ statt. Eine Bestandsaufnahme

Ohnehin wäre Mehrsprachigkeit in einem vereinigten Europa absolut wünschenswert

von BRIGITTE WERNEBURG

„ ,I am hungry‘, ich bin Ungar.“ Sprachalltag

Worüber man nicht weiß, in welcher Sprache man noch sprechen muss, darüber mag man gerne schweigen. So lässt sich denken, erging es den Teilnehmern am EU-Gipfel, der vor zwei Monaten in Nizza tagte. Schon jetzt bringen elf Sprachen und 110 Dolmetschkombinationen, die zu Tonnen übersetzter Papiere führen, die täglich die Druckerei verlassen, das Europaparlament an den Rand seiner Arbeitsfähigkeit. Nach der nächsten Erweiterung der Europäischen Union können die Übersetzungserfordernisse rein rechnerisch auf 380 Kombinationen ansteigen. Damit wäre das Parlament und eine ganze Reihe weiterer Brüsseler Institutionen endgültig lahmgelegt. Deswegen schwiegen sie denn auch so hartnäckig, die Präsidenten, Kanzler und Minister, sofern die Rede auf das sprachliche Schicksal eines integrierten Europa zu kommen drohte. Und weil es genug zu diskutieren gab, fiel das Schweigen auch nicht weiter auf.

Es ist die Angst, die die Akteure verstummen macht. Nein, der Turmbau von Babel ist nicht die Immobilie, die man die Europäische Union beziehen sehen möchte. Gleichzeitig aber befürchtet man genau das. Denn der Sprachenstreit, der ein Jahr vor Nizza unter der finnischen Präsidentschaft entbrannt war, konnte durchaus an den vorzeitigen Ruin des Hauses Europa denken lassen. Damals blieben Wirtschaftsminister Müller und Kulturstaatsminister Naumann von Ratssitzungen fern, weil dort nicht – wie bislang üblich – neben Englisch und Französisch auch Deutsch als Übersetzung angeboten wurde. Bevor sich die Angelegenheit weiter zuspitzte, die Bundeskanzler Gerhard Schröder mit einem Brief ins Rollen gebracht hatte, in dem er Boykottmaßnahmen androhte, gaben die Finnen nach. In Deutschland galt der Streit damit als erledigt. Nicht so aber in Spanien und Italien, wie man der Presse entnehmen konnte. Denn kaum hatte Joschka Fischer beim nachfolgenden Treffen der EU-Außenminister in Finnland Deutsch gesprochen, kündigte sein spanischer Amtskollege Abel Matutes an, künftig nur noch Spanisch zu sprechen, falls sich ein solcher Vorfall noch einmal wiederhole. Italien sekundierte.

Doch worüber die Politiker nicht sprechen, weil sie nicht streiten wollen, dazu sollen nun die Bürger initiativ werden. Sie sollen die Sprachen der anderen lernen. Das ist das Ziel des Europäischen Jahrs der Sprachen, zu dem die gleiche Europäische Union, die sich im Dezember 2000 in Nizza ausschwieg, nun das Jahr 2001 ausgerufen hat. Das Europäische Parlament und der Eurorat stellen dafür Haushaltsmittel in Höhe von acht Millionen Euro bereit, die von der Generaldirektion Bildung und Kultur der Europäischen Kommission verwaltet werden. Die deutsche Eröffnungskonferenz zum Europäischen Jahr der Sprachen findet heute in Berlin statt.

Natürlich wird es auf der Berliner Startkonferenz, die hunderte und aberhunderte von Sprachinitiativen wie etwa die europäische Woche des Sprachenlernens vom 5. bis zum 11. Mai unter dem Motto „Erwachsene lernen Sprachen“ vorstellt, auch darum gehen, Deutsch an den Mann oder die Frau zu bringen. Zwar sprechen fast 100 Millionen Menschen in Europa Deutsch, das damit die am häufigsten gesprochene Muttersprache in der Europäischen Union ist. Das Renommee einer internationalen Verkehrssprache besitzt das Deutsche jedoch selbst in Europa nicht. Auch hier ist Englisch die am häufigsten gesprochene Sprache. Denn abgesehen von den Muttersprachlern hat immerhin jeder dritte Europäer Englisch gelernt. Vierundzwanzig Prozent der Bevölkerung der Europäischen Union sprechen Deutsch als Muttersprache, aber nur acht Prozent machten sich die Mühe, es als Zweitsprache zu erlernen. Englisch, Französisch und Italienisch ist die Muttersprache von je sechzehn Prozent der Bevölkerung in der Europäischen Union. Doch nur zwei Prozent der Europäer sind an Italienisch als zweiter Sprache interessiert, zwölf Prozent wenigstens an Französisch. Auf die Frage, welche Sprache für sie, abgesehen von ihrer Muttersprache, die nützlichste ist, nannten 69 Prozent der Befragten einer Untersuchung der EU an erster Stelle Englisch.

Und in der Tat, man muss zwar nicht wirklich Englisch beherrschen, um das Label der einzigen globalen Stadt Deutschlands zu verstehen, die sich neuerdings „Frankfurt, City of the Euro“ nennt; um dort aber in den Führungsetagen und Büros der Finanzdienstleistungsunternehmen zu arbeiten und Karriere zu machen, sollte man die Sprache möglichst perfekt beherrschen. Falls man mit Englisch besser klarkommt als mit Deutsch, ist das dort kein Schaden, umgekehrt aber sehr wohl. Sie haben also völlig Recht, die EU-Befragten: Dort wo produziert, geworben, verkauft und gekauft wird, wo geforscht wird und wo technisch kommuniziert wird, ist Englisch die Verkehrssprache Nummer eins.

Deshalb macht Englisch Angst. Könnte es sein, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft der Macht des Englischen, seiner mal mehr, mal weniger charmanten Allgegenwärtigkeit ganz anheim fallen? Und unsere Kinder, wie es Dieter E. Zimmer schon vor einigen Jahren in der Zeit prognostizierte, ganz pragmatisch von Anfang an auf Englisch unterrichten lassen? Schließlich sind sie, sollten sie sich für die hard sciences, für Informatik, Physik, Chemie oder neuerdings vor allem für Biomedizin interessieren, sprachlich derart sozialisiert eindeutig im Vorteil.

Ein Fanal scheint es auch zu sein, dass ausgerechnet in der Schweiz, wo Deutsch, Französisch und Italienisch offiziell anscheinend gut miteinander auskamen, erst vor kurzem der Vorschlag gemacht wurde, Englisch als fünfte Schweizer Landessprache einzuführen. Einfach, damit die Landsleute wenigstens eine Sprache haben, in der sie sich tatsächlich verständigen können. Anstoß zu derlei Überlegungen gab der Erziehungsdirektor Ernst Buschor, als er ankündigte, „der Kanton Zürich werde in den öffentlichen Schulen coûte que coûte Frühenglisch einführen“, wie die Neue Zürcher Zeitung ihn zitierte.

Coûte que coûte, koste es, was es wolle: Das ist die Haltung Frankreichs, wenn es darum geht, das Französische im eigenen Land massiv gegen das alltagssprachlich, vor allem durch die Werbung eindringende Englisch stark zu machen. Das nach dem damaligen Kulturminister „Loi Tourbon“ benannte Gesetz von 1995 stellt unübersetzbare englische Werbesprüche schlicht unter Strafe. Und es gibt Aufsichtsinstanzen, die sich um die Einhaltung des Gesetzes kümmern, etwa das Internet durchforsten wie die Commission générale de terminologie et de néologie, die Défense de la langue française oder die Académie française. Trotzdem, das Französische gerät auch in Frankreich durch die sich wieder regenden Regionalsprachen einerseits und durch die international Standard gewordene Verkehrssprache Englisch andererseits zunehmend unter Druck.

Das Renommee einer internationalen Verkehrssprache besitzt Deutsch in Europa nicht

Während sich die Sprecher kleinerer Sprachen schon immer damit abfinden mussten, dass sie, um verstanden zu werden, eine andere als ihre Muttersprache sprechen müssen, sind Sprecher von Sprachen, die vor kurzem noch Weltsprachen waren, schockiert, wenn man sie in ihrer Muttersprache nicht mehr versteht. Das passiert den Franzosen immer häufiger. Es kommt daher, dass es den Menschen zunehmend ausreicht, ihre Muttersprache und Englisch zu sprechen. Im vereinigten Europa freilich wäre eine darüber hinausgehende Mehrsprachigkeit absolut wünschenswert. Darin sind sich alle Mitglieder der Union einig, nicht nur die Franzosen, die sich bei mindestens zwei gleichwertig behandelten Fremdsprachen für alle Schulabgänger ausrechnen, dass Französisch dann wieder in aller Munde wäre – wenn es nicht womöglich doch Deutsch ist.

Sprache und Kultur sind Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt. Das sehen die Deutschen, wenn nicht schon seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, dann spätestens seit den Sparauflagen für die auswärtige Kulturpolitik auch so. Nachdem sich das British Council pünktlich zum Europäischen Jahr der Sprachen auf deutschen Boden zurückzieht, hat die Kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Antje Vollmer, das fusionierte Goethe-Institut Inter Nationes aufgefordert, seine Mittel ebenfalls rigoroser „nach dem Einflussgesichtspunkt“ zu nutzen. Denn wenn nur noch das neu bezogene Haus am Hackeschen Markt in Berlin das Vereinigte Königreich in Deutschland repräsentiert und das britische Pendant zum Goethe-Institut seine Büros in Hamburg, Leipzig, Köln und München schließt, dann, weil die Bundesrepublik schon vollständig kolonisiertes Gebiet und vom Englischen so durchdrungen ist, dass man die hier eingesetzten Mittel nun besser in die Schwellenländer der dritten Welt, vor allem aber nach China transferiert. Auch Frankreich will ab September 2001 gleich zwölf seiner bislang 24 Kulturinstitute in Deutschland schließen. Die Verbindungsbüros für Kino in Müchen, für Musik in Mainz, für Buch in Frankfurt und für bildende Kunst in Köln werden dann mit dem Verbindungsbüro für Theater in Berlin zusammengeworfen.

Es geht um die Zukunftsmärkte in Ost- und Mitteleuropa sowie China, in denen man präsent sein will. Kulturarbeit „aus Solidarität“, aus alter Tradition und Freundschaft gilt nichts mehr. Man könne nicht mehr nur nach dem „Gießkannenprinzip die Welt erfreuen“, so weiß es Antje Vollmer, die Joschka Fischer, wie man hört, gerne als Nachfolgerin des Präsidenten des Goethe-Instituts, Hilmar Hoffmann, sähe. Der nun musste Frau Vollmer heftig widersprechen, schließlich ist das Goethe-Institut, anders als das British Council und das Institut Français, keine Regierungsorganisation. Doch auch er sieht die Sache schonungslos. Die Sprachen der großen Handelsnationen stehen in den Staaten des früheren Ostblocks zueinander in scharfer Konkurrenz: „Wir propagieren aber in den Ministerien und den Schulen, dass die zweite Fremdsprache nach Englisch Deutsch sein soll und nicht Französisch.“ Sollte dieses Nullsummenspiel zu einem kleinen deutsch-französischen Sprachenkrieg führen? Zumal das Goethe-Institut mit dem British Council schon einige Allianzen geschmiedet hat, etwa im namibischen Windhuk und in Kiew, wo sich die Kulturinstitute gemeinsame Räume teilen.

Freilich möchte man einwenden: Bevor man sich in der Welt in nicht so sehr finanziell wie tatsächlich kulturell kostspielige Konkurrenzkämpfe begibt und beleidigt reagiert, sofern die eigene Sprache nicht als Verhandlungssprache akzeptiert ist, sollte man mit dieser im Innern nicht gar so knauserig tun. Dort ist der Zugang von Immigranten zu geförderten Deutschkursen streng nach ihrem ausländerrechtlichen Status geregelt. Flüchtlinge und Asylbewerber dürfen erst gar nicht an geförderten Sprachkursen teilnehmen. Schließlich dürfen „keine Anstrengungen unternommen werden, um Personen, deren Aufenthalt in Deutschland nicht langfristig gesichert ist, zu integrieren“. So im Behördendeutsch etwa des Arbeitsamtes. Die Kurse für Spätaussiedler werden dafür aus nicht weniger als sechs verschiedenen Einzeletats der Bundesregierung gefördert. Ansonsten sind lediglich Arbeiternehmer und Arbeitnehmerinnen mit ihren Familieangehörigen aus den ehemaligen Anwerbeländern Türkei, den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, Marokko, Tunesien, den Philippinen sowie den DDR-Vertragsstaaten Angola, Mosambik und Vietnam zur Teilnahme an Kursen berechtigt. Hier großzügiger zu verfahren könnte der deutschen Sprache viele, leicht errungene Sympathien einbringen.

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