piwik no script img

Berliner Call-Center boomen

7.000 Menschen arbeiten in den 90 Berliner Call-Centern. In zwei Jahren könnten es doppelt so viel sein. Erneut Protestkundgebung gegen Entlassungen bei der Hotline

Die Call-Center-Branche hat in Berlin rapide an Bedeutung gewonnen. Innerhalb von drei Jahren sind in der Hauptstadt rund 90 Call-Center entstanden, in den etwa 7.000 Menschen arbeiten. Das ist das Ergebnis der ersten verlässlichen Datenerhebung, die der Chef der Wirtschaftsförderung Berlin (WFB), Hans Estermann, gestern vorstellte. Ein Ende des Booms sei nicht abzusehen, so Estermann. Innerhalb der nächsten zwei Jahre könnte sich die Zahl der Beschäftigten verdoppeln. Die Arbeitsgemeinschaft der Berlin-Brandenburger Call-Center (ABCC) informiert auf einer neuen Internetseite über die Branche.

In einer Woche findet zum dritten Mal die Call Center World, die größte Branchenmesse, in Berlin statt. Berlin entwickele sich zur Hauptstadt der Call-Center-Szene, so Estermann. Bereits heute arbeiteten hier etwa so viele Menschen in der Branche wie in Nordrhein-Westfalen. Angesichts der wesentlich geringeren Bevölkerungszahl sei das ein beachtliches Ergebnis.

Die Gründe für den Berliner Boom sind vielschichtig. Wirtschaftsstaatssekretärin Gisela Meister-Scheufelen hebt die preiswerten Gewerbe- und Büroflächen in der Stadt hervor. Weiterer Vorteil seien die vielen qualifizierten Arbeitskräfte sowie eine hohe Arbeitszeitflexibilität. Anders als in anderen Städten ist es hier für Call-Center kein Problem, eine Genehmigung für einen Sieben-Tage-Betrieb rund um die Uhr zu bekommen.

Die Mitarbeiter haben mit diesen Flexibilisierungsanforderungen allerdings häufig Probleme. Die Hauptschwierigkeit, Mitarbeiter für Call-Center zu gewinnen, liege in der mangelnden zeitlichen Flexibilität. Dies ergab eine qualitiative Umfrage der Call-Center-Akademie unter 30 Berliner Call-Centern. Dabei wurden auch weitere Daten über die Branchenstruktur erhoben. Nur rund die Hälfte der Beschäftigten ist in Vollzeit fest angestellt; der Rest sind Teilzeit-Mitarbeiter oder Aushilfen. Bei 54 Prozent liegt die Stundenvergütung der Agenten zwischen 17 und 19 Mark, bei 13 Prozent beträgt sie 14 bis 16 Mark, bei weiteren acht Prozent liegt sie darunter. 60 Prozent sind Frauen.

Rund 40 Beschäftigte und Mitglieder der Call-Center-Offensive, einer Basisinitiative von Beschäftigten, protestierten indes gestern Nachmittag vor dem Sitz des Friedrichshainer Call-Centers Hotline GmbH. Die Geschäftsführung hatte in der vergangenen Woche 17 Mitarbeiter entlassen, die sich für die Gründung eines Betriebsrates eingesetzt hatten (taz berichtete). Mittlerweile habe sich die Zahl der Entlassenen auf 27 erhöht, sagte gestern Tim Herudek, einer der Initiatoren des Betriebsrates. „Wir werden weitermachen.“

Der Fall hat in der Call-Center-Szene für Aufregung gesorgt. In allen Dienstleisungsbereichen gebe es immer wieder „Ausreißer“, betonte gestern WFB-Chef Estermann. Diese dürften aber nicht das Bild einer ganzen Branche bestimmen. RICHARD ROTHER

Weitere Informationen: www.abcc-netz.de; www.callcenteroffensive.de

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen