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Opponier mit mir

DAS SCHLAGLOCHvon FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH

Die Regierung braucht diese Opposition nicht. Eher schon wir ’ne bessere Regierung

„Zurück zu den Sachthemen!“

So dolmetscht Angela Merkel den Klassiker aus gutbürgerlicher Familie, „Zwischen den Mahlzeiten mal die Beine vertreten“ respektive „Mach die Kiste mal aus und nimm ein gutes Buch zur Hand“. Der CDU-Chefin ist darin Schläue zuzuerkennen, stets so lange zu den drögen Vollkornstullen des Politalltags gerufen zu haben, bis alle sie für harmlos und fleißig hielten. Statt Personaldebatte nahm man dann sie. Die meistunterschätzte Politikerin der letzten zehn Jahre. Merkel – die als Sachthema getarnte Personalie der Union.

Einiges lässt sich vorbringen, dass Sachthemen für den traditionsreichen Kanzlerwahlverein CDU eh schwere Auswärtsspiele sind: Die Regierung Kohl rettete die paritätische Sozialversicherung, indem sie sie weitgehend demolierte. Blüm sicherte das Streikrecht, indem er es tendenziell abschaffte. Das Asylrecht durfte im Grundgesetz bleiben, weil es in letzter Fassung nicht mehr funktioniert. Der Enkel Adenauers erfüllte mit der Wiedervereinigung die zentrale Vision der Sozialdemokratie gegen Adenauer. Die knochenharte Law-and-Order-Politik delegierte man in den 70ern der Schmidt-Regierung. Die Wahlen der 80er gewann man auch mit Geißlers cleveren Coverversionen großer SPD-Hits: Frauen-, Familien-, Gesellschaftspolitik. Die Marktwirtschaftspartei ertränkte das Land in Staatsschulden. Die Kalte-Kriegs-Partei CDU verzauderte bis zuletzt den Marschbefehl.

Es liegt also tiefe Selbsterkenntnis darin: Über Fischers Schulhofkloppereien echauffiert sich die Union monatelang; seine Gewaltbereitschaft im Amt wurde beifällig abgenickt. Psychologen mag interessieren, dass dieser ungewöhnliche Politiker jeder Clique, in die er aufzusteigen wünschte, zuerst seine Skrupellosigkeit demonstrierten musste. Ob es nun schlagfertige Putztruppe oder gewaltbereite Außenministerkonferenz war. Das kann man auf archaische Initiationsrituale verkürzen. Politisch interessant hingegen ist, wie anmutig und bewusst etwa Friedrich Merz sich eben noch als auch ganz schön loser Bursche zu erkennen gab, der auch mal den Schalldämpfer aus dem Auspufftopf seines Mofas schraubte. War halt ’ne wilde Zeit damals. Um ansatzlos wieder in die Konsensfraktion des Schülerrats einzutreten, wenn der Protest den Abischnitt zu bedrohen scheint. Kurz: Irgendwo zwischen Frankfurter Westend und Kosovo haben die Grünen ihr Verhältnis zur Gewalt geklärt. Leider. Noch leiderer: die Union nicht.

Positiv gewendet : Die organisierte Christdemokratie in Deutschland ist nicht dogmatisch. Wo sie’s doch war, verknöcherte sie und morschte weg. Barzels historisches Verdienst bleibt, die paranoide Kiesinger-Truppe auf die neue, bessere Entspannungspolitik Brandts umgewuchtet zu haben. Kohls Siegeszug war, in den Augen seiner Zeitgenossen, der Aufbruch eines Neuerers. Den Ideologen Strauß ließ er sich zu Tode siegen und schließlich der Lächerlichkeit preisgeben: Bundestagswahl epochal vergeigt und anschließend Honecker durchgefüttert. Die spannendste Frage der nächsten zwei Jahre scheint zu werden, ob Edmund Stoiber diese Lektion gelernt hat: Die Kanzlerkandidatur eines Christsozialen ist ein ganz sicheres Ticket, die nächste Wahl zu gewinnen. In Bayern.

Will Stoiber aus einer bundespolitischen Personaldebatte nur regional Aufwind gewinnen, ist er ein Zyniker, dem die Union als Ganzes piepegal ist. Will er es tatsächlich bundesweit wissen, soll er es sagen. Tut er aber nicht, und lädt so dazu ein, dass man einander mindestens noch Monate demoliert. Das mag man feiern, dass die Konservativen so desolat daherkommen. Aber übrigens: Im Bund regieren die gar nicht.

In der gutbürgerlichen Familie darf auch die Tochter mal mehr von Papas Erbe mitbekommen haben als alle Söhne zusammen: Angela Merkel ist kein Stiefkind der Union, auch wenn man dieser Partei deutlich frauenfeindlichere Tendenzen nachweisen kann als anderen. Wie Merkel das Röhren der Hirsche auf der Lichtung erduldet; die Demütigung, dass niemand ihren Ruf hören möchte; und wie sie schließlich kaum beleidigt dazu einlädt, gemeinsam den entstandenen Flurschaden aufzuräumen – das kohlt. So war der Noch-nicht-ganz-so-Dicke nachdem er seine erste, erfolglose Kanzlerkandidatur hinter sich hatte. Spannend: Zu welchen Inhalten ruft Merkel nun? Oder ist es ihr Inhalt, zu den Inhalten zu rufen ? Oder ist das ihr Trick?

Schmeckt nach Staub aus alten Sozialkundebüchern auf der Nasenschleimhaut: „Der Regierung ist eine starke Opposition zu wünschen.“ Mal ehrlich: Einer tollen Regierung wünschte ich, dass sie ihren Stiefel ungestört durchziehen könnte. Da soll die Opposition sich ruhig unausgesetzt zermetzgern, wenn’s die Regierung bei gutem Tun belässt. Zumal, wenn diese Regierung wesentlich deswegen ins Amt kam, weil ihre Vorgängerin am Reformstau erstickte. Rente, Steuern, Gesundheitswesen, Migrationspolitik und mit allem ursächlich verbunden: Massenarbeitslosigkeit. Diffizil. Es fehlt die klare Linie in dem, was RotGrün veranstaltet; vielleicht taugen die Aufgaben auch zu klaren, einfachen Rezepten nicht. Noch spekulativer: Vielleicht ist diese Ungenauigkeit ein Glück.

Die Grünen haben ihr Verhältnis zur Gewalt geklärt. Leider. Noch leiderer: die CDU nicht

Die noch stets marginalen Wahlergebnisse extremer Parteien – die extrem lustige FDP mal nicht mitgerechnet – deuten eher auf ein allgemeines Wohlbefinden mit den Dingen, wie sie sind. 50 Prozent Nichtwähler enthalten auch x Prozent Leute, die beide politischen Alternativen für hinnehmbar halten. Was der politischen Auseinandersetzung an Klarheit und Härte fehlt, ist Leidensdruck. Die besser versorgte Mehrheit in diesem Land hat sich in einer gemütlichen Egalokratie eingerichtet. Ein Ohrfeigengesicht, wer jetzt mehr Leidensdruck fordert, damit’s im Berliner Reichstag wieder hoch hergehe.

Mag also die CDU/CSU sich weiter in Streitereien ergehen, wer denn nun der geeignetste Kanzlerkandidat sei. Solange es inhaltlich nicht gelingt, die Schröder-Verlierer zu erkennen, zu definieren und zu organisieren, wäre jede Figur nur eine Figur ohne Thema. Die anstehenden Landtagswahlen will man mit dem Rententhema gewinnen; erneut also der kurzsichtige Versuch, die Alten gegen die Jungen zu mobilisieren. Das braucht kein Mensch. In der Bevölkerungspolitik nähert Rühe sich Geißler, während Rüttgers rückwärts stoibert. Bei der Sozialpolitik großes Formelfummeln: Dass Bismarcks Sozialversicherung bis zur Sprödigkeit ausleiert, also restauriert oder abgeschafft gehört – man hört es von der Opposition nicht. Die viel gepriesene Parität steht nur noch auf vergilbtem Papier. Tatsächlich wird zugezahlt, bis der Arzt kommt, bei Kassenpatienten kommt er trotzdem nicht. In der Außenpolitik: Erst war Kosovo eine menschenrechtliche Großtat, dann ein zunehmend erkennbarer Fehler. Fazit? Keines. Angela Merkel ist zu wünschen, dass sie meint, was sie sagt: Klarziehen, wo der Hammer hängt. Andernfalls Sozialkundebuch zu und offen zu sehen: Diese Regierung braucht diese Opposition nicht. Eher schon wir ’ne bessere Regierung.

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