: Vorsintflut auf der Veddel
■ Ausschluss von MigrantInnen aus dem politischen Leben gefährdet die Demokratie, finden die PolitikerInnen
Auf dem Kleinen Grasbrook und auf der Veddel gilt das allgemeine Wahlrecht noch nicht. Jedenfalls nicht für die Hälfte der erwachsenen EinwohnerInnen: Sie haben keinen deutschen oder EU-Pass und sind deshalb von politischer Teilhabe weitgehend ausgeschlossen. Zahlen, die unter anderem die Hamburger Ausländerbeauftragte Ursula Neumann veranlassten, PolitikerInnen aller Rathausfraktionen zu einer Podiumsdiskussion am gestrigen Abend einzuladen – unter der Überschrift „Demokratiedefizite in der Demokratie“. „Stargast“ war der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Michel Friedman.
Anlass war eine Studie im Auftrag der Ausländerbeauftragten, die festgestellt hat, dass es Menschen mit Migrationshintergrund – auch Aussiedler und Eingebürgerte – in der Bürgerschaft, den Bezirksversammlungen und Ausschüssen so gut wie nicht gibt. Das bedeutet: „Die Vertretung ihrer Ansichten ist nicht gesichert“, sagt Neumann. Dem muss abgeholfen werden, warnt sie, „soll die Demokratie insgesamt nicht gefährdet werden.“
Dem widersprach niemand der VertreterInnen von SPD, CDU, GAL und Regenbogen auf dem Podium. SPD-Parteichef Olaf Scholz setzt vor allem auf eine verstärkte Einbürgerung und fordert Migratinnen auf, in die bestehenden Parteien einzutreten und dort „Karriere zu machen“. GAL-Landeschefin Antje Radcke möchte Nicht-EU-AusländerInnen das kommunale Wahlrecht ermöglichen. Mit einer derartigen Gesetzesinitiative war Hamburg vor zehn Jahren vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert – die Hamburger CDU hatte dagegen geklagt. Nichtsdestotrotz favorisiert nun auch deren Abgeordneter Rolf Kruse das kommunale Wahlrecht für AusländerInnen. Ansonsten blieb der CDU-Vertreter gestern von allzu kritischen Fragen verschont - und schonte sich selbst nach der Devise: nicht unangenehm auffallen. Erst Friedman, selbst CDU-Mitglied, sprach Kruse auf eine mögliche Koalition mit Rechtspopulist Schill an. Kruse gab zu: „Ich habe Herrn Schill noch nie persönlich gesehen. Und ein Wahlprogramm hat er ja gar nicht...“
In Richtung Regenbogen warnte Friedman davor, das Thema Migration mit „Moralin“ zu befrachten. Regenbogenreferent Dirk Hauer hatte gefordert, illegalisierte AusländerInnen nach dem Vorbild der USA in bestimmen Abständen zu legalisieren. Heike Dierbach
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