piwik no script img

Ein Trip der Genauigkeit

Steven Soderberghs „Traffic“ (Wettbewerb) zeigt die US-Drogenprobleme als Panorama aus mexikanischen Underdogs und White-Collar-Konsumenten. Die Hintergründe sind komplexer, doch bei den privaten Tragödien hält man trotzdem die Luft an

von HARALD FRICKE

Das Geld für die Drogen kommt aus den USA. Die Drogen kommen aus Mexiko. Aber von dem Geld, das man mit Drogen verdienen kann, verlässt nur ein kleiner Teil die Vereinigten Staaten, und der Rest wird unter zwei Kartellen in Tijuana aufgeteilt. Deshalb sitzen in Miami und Los Angeles Multimillionäre, die sich ihre Autos, Villen und Frauen vom Umsatz kleiner afroamerikanischer Straßendealer bezahlen lassen, während sich auf der anderen Seite der Grenze das mexikanische Militär mit den Privatarmeen der Drogenmafia Gefechte liefert. Am besten wäre es natürlich, wenn die US-Army dort einmarschieren könnte, so wie Dezember 1989 im Kampf gegen das Noriega-Kartell in Panama. Aber dann käme das Kokain eben aus Costa Rica oder der Dominikanischen Republik. Schließlich sind die Märkte dank Nafta und Globalisierung sehr unübersichtlich geworden.

Aus dieser Gemengelage baut Steven Soderbergh in „Traffic“ eine panoramaartige Drogenoper zusammen. Da ist zum Beispiel der Streifenpolizist Javier Rodriguez (Benicio Del Toro). Zu Beginn des Films darf er einen Laster voll Kokain abfangen, um ihn nur wieder an die Spezialabteilung eines höher stehenden Generals zu verlieren, der ohnehin einen Pakt mit einem der beiden Kartelle geschlossen hat. Seine Chance, endlich durchzugreifen, erhält Rodriguez erst, als er mit den US-Behörden gegen seine eigenen korrupten Vorgesetzten kooperiert.

Da ist der konservative Anwalt Robert Wakefield (Michael Douglas), der zum obersten Chef der US-Drogenpolizei ernannt wird. Während er seine Behörde neu organisieren und ihren Einsatz an der mexikanischen Grenze verstärken will, gerät Wakefields Tochter auf Studentenparties daheim in Ohio an Crack, um schon bald schwer abhängig als Prostituierte auf der Matratze besagter schwarzer Dealer zu enden. Vater schmeißt den Job und führt sein Mädchen aus dem Ghetto zurück in die Familientherapie.

Da ist die schwangere Millionärsgattin Helena Ayala (Catherine Zeta-Jones), deren Mann bei einer Razzia festgenommen wird. Um ihre Familie zu retten, führt sie die Geschäfte mit der Gang in Tijuana auf eigene Faust fort, erfindet erstaunliche Möglichkeiten für den Transport von Rauschgift und lässt durch einen (einmal mehr) mexikanischen Killer den einzigen Kronzeugen beseitigen. Die Anklage wird fallen gelassen.

Offenbar wirkt der Stoff allein im Privaten: Sie zerstören Familien, sie schweißen Familien zusammen. Doch so einfach, wie sich Soderbergh Bündnisse im Krieg mit und gegen Drogen vorstellt, ist die Lage nicht. Das Elend greift weiter, gesellschaftlich. Von den 20 Milliarden Dollar, mit denen US-Behörden ihren enormen Angestellten-, Justiz- und Polizeiapparat finanzieren, könnte man durchaus Aufbauhilfe unter der mexikanischen Bevölkerung leisten – und so die Hoffnung auf das schnelle Geld mit den harten Drogen zumindest eindämmen. Wenn allerdings arbeitslose Mexikaner über die Grenze nach Kalifornien wollen, werden sie nicht nur als illegale Einwanderer kriminalisiert, sondern auch als vermeintliche Dealer abgestempelt. Bereits in den USA lebende und straffällig gewordene mexikanische Jugendliche kommen dagegen oft erst im Gefängnis mit Drogenkriminalität in Kontakt.

Natürlich weiß auch Soderbergh, wie das Zusammenspiel aus Drogen, Strafe und Migration funktioniert. Wer für seine Filme so besessen recherchiert, dass er Times-Reporter engagiert und mit Senatoren über Drogenpolitik diskutiert, liest auch beim Urbanismusforscher Mike Davies die entsprechenden Kapitel nach. Trotzdem hat Soderbergh entschieden, dass in seinem Film die Probleme bei der Bekämpfung von Drogen ähnlich abgewickelt werden wie vor zehn Jahren in Großbritannien. Damals gab es auf BBC eine Dokumentation über Heroinschmuggel von Pakistan nach England: Jetzt ist aus „Traffik“ die US-amerikanische Variante vom kleinen Grenzverkehr geworden.

Was den Film dennoch aus der Produktionsmaschinerie Hollywoods weit herausragen lässt, sind Soderberghs stilistische Mittel. Bei ihm ist das Debakel der hilflosen Polizisten und kaputten Teens ein Trip der Genauigkeit. Jedes Bild taucht vollständig ins Geschehen ein, als gäbe es nur diese sichtbare Realität. Die Schönheit gelbstichiger Wüsten oder das Chaos der Fahnder beim Sturm aufs Drogenquartier; Undercovereinsätze in Schwulenbars oder das irre Generation-X-Gebrabbel von Jugendlichen auf Speed – für Soderbergh sind Details wichtig, weil sich die Welt nur aus der Summe ihrer Teile überzeugend zusammensetzen lässt. Vielleicht wäre alles andere bloß die Illustration zur aktuellen Drogendebatte im Kongress. Soderbergh aber macht Leben nicht zum Stellvertreter der schlechten Wirklichkeit, sondern steigert Widersprüche larger than life, ob als Charakterstudie in „Erin Brockovich“ oder als kuriose Sträflingsstory in „Out of Sight“. „Traffic“ ist ein ebenso monumental entworfenes Tableau, in dem selbst Michael Douglas einen Puzzlestein mehr spielt und nicht den tragischen Helden. So viel Mannschaftsdienlichkeit sieht man nicht einmal im britischen Arbeiterkino.

Zugleich sind sämtliche Dialoge von einer emotionalen Dichte und Schärfe, dass man im Kino schier die Luft anhält, wenn Wakefields Tochter ihren Vater nicht mehr ernst nimmt, weil das Crack bei ihr zu wirken anfängt. Beiläufig und doch mit der immer gleichen Wucht werden die Figuren aus ihrer Bahn geworfen, ohne dass sich die drei Erzählstränge überlappen müssten. Die Verzweiflung der einen entlädt sich in der Wut der anderen, darin sind sich mexikanische Drogenfahnder und White-Collar-Konsumenten aus der weißen US-Oberschicht ebenbürtig. Soderbergh behandelt sie alle auf Augenhöhe, für Gerechtigkeit müssen andere sorgen.

„Traffic“. Regie: Steven Soderbergh. USA 143 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen