der ball ist rund: Union Berlin kickt im DFB-Pokalfinale
Wahnsinn reicht nicht
Wo der Alltag grau ist, sind Helden gefragt. Am Dienstagabend um 23.05 Uhr wurden wieder welche geboren. Ihre Namen lauten Sven Beuckert, Bozo Djurkovic, Steffen Menze, Jens Tschiedel, Ronny Nikol und Georgi Wassilew. Die Helden des Regionalligisten 1. FC Union Berlin schickten den Favoriten Borussia Mönchengladbach vom Platz und stehen im Endspiel des DFB-Pokals. Zum Heldenwerden gehört die spezifische Dramaturgie aus Tragik und Heroismus, von Unterlegenheit und Steigerung. Die Ostberliner aus dem „Revier“ Oberschöneweide beherrschten beides: Nach einem Rückstand glichen sie auf 2 : 2 aus. Das Spiel musste verlängert werden. Es folgte das Elfmeterschießen und – „Wahnsinn“. Aus, aus, der Pokalkrimi war aus und Union im Fieberzustand.
Wo der Alltag grau ist, sind auch Mythen gefragt. Mehr als die Helden werden seit Dienstagabend diese bemüht. Es sind Beschwörungsformeln einer Vergangenheit und drittklassigen Gegenwart, auf die sich zwar wenig sportlicher Ruhm begründet, aber umso mehr ein Image stricken lässt: das vom Ostberliner Underdog-Verein, der sich 1906 aus dem Arbeiterbezirk hochbolzte, zu DDR-Zeiten im Schatten des Stasi-Klubs Dynamo verhungern musste und nun als östliches Pendant zu Hertha BSC stilisiert wird. Hier der FC Union, dort der blauweiße Starklub, hier die Prolls, dort die Eliten samt „Fröschen“, hier die Alte Försterei, dort das Olympiastadion, hier der Osten, dort der Westen.
Waldemar Hartmann, ARD-Kommentator, war dumm genug, es auszusprechen: „Der Sieg ist wichtig für den Osten.“ Und sein Kollege am Spielfeld hat genickt wie Klaus Töpperwien, als Torwart Beuckert sich in alten Fußballweisheiten suhlte: „Wir haben uns reingeschmissen in den Schlamm“, über den Kampf zum Erfolg gegen die Schönkicker aus „Gladbach“. Das macht Mut und hebt das Selbstwertgefühl. „Eisern Union“, eiserne Treue von eisernen Kameraden lautet die Philosophie des Vereins im Internet. Und wo die Vereinskneipe noch „Abseitsfalle“ heißt, ist der selig-komische Ossi auch nicht weit.
Die Demonstration solcher Tugenden soll für den Osten wichtig sein? Wohl kaum. Es ist merkwürdig genug, dass die Corporate Identity vom 1. FC Union Berlin gerade von Wessis wie Waldemar Hartmann und Co. befördert wird, dient doch „der Osten“ als sportlicher wie gesellschaftlicher Sonderfall, aus dem noch Mythen gestrickt werden können. Im schlechtesten Fall wird daraus der Stasi-Verein mit rhythmisch klatschenden Zuschauergruppen, die immer noch „Freundschaft“ rufen, wenn ein Tor fällt. Im besten Fall kann man sich an Union, Energie Cottbus oder Erzgebirge Aue aufladen, die so altbacken wie semiprofessionell Großen mal eins auswischen.
Abstrakt gsehen ist das identisch. Der Osten dient zur Belustigung, als Favoritenschreck und Ausreißer. Der „wichtige Sieg“ beinhaltet nicht mehr als die Sehnsucht und Differenz nach dem anderen. „Können Sie sich Union im Uefa-Cup vorstellen?“, fragte verräterisch der Reporter. Und wer würde sagen „ein wichtiger Sieg für Franken“, wenn Fürth die Bayern raushaut? Etwa Regionalspezialist Waldemar Hartmann?
Der Ball ist rund und jeder Wahnsinn auf dem Spielfeld irre. Das braucht Union – und Berlin dazu. Denn wenn es einen zweiten Klub in der Stadt gibt, der sich als Konkurrent zu Hertha entwickeln könnte, dann Union. Bis vor vier Jahren hat Union auf Sentimentalitäten, die Lage im Ostteil und windige Sponsoren gesetzt, wie Dynamo Dresden und Sachsen Leipzig es zum Teil bis heute tun, und war gescheitert. 1997 war der Verein pleite – trotz eiserner Fans, DDR-Pokalsieg 1968, namhafter Trainer und Nina Hagen als Maskottchen.
Wenn die Finalteilnahme im DFB-Pokal 2001 mehr als nur die Perspektive auf das größte Ereignis der Vereinsgeschichte bleiben soll, muss der Verein die Signale zum Besteigen der Fußballhöhen ernst nehmen – nicht Mythen. Verweilen dort oben wird er nur, wenn er sich von unten verabschiedet und den Herausforderungen einer Professionalisierung von Verein, Aufsichtsrat, Präsidium und Mannschaft stellt. Ziele sind die Zweite Liga, die Verstärkung des Kaders und die Einrichtung eines modernen Managements.
Das ist wichtiger als das Pokalfinale, das gegen Schalke oder Stuttgart schnell verloren gehen kann. Fehlt die Vision, bleiben nur traurige Helden im Olympiastadion zurück, mehr nicht. Hat Union eine, die über das Image der Truppe aus dem Berliner „Revier“ hinausgeht, hat es Chancen. Besonders im Osten. ROLF LAUTENSCHLÄGER
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