: Ins Abseits redet er sich selbst
von PHILIPP GESSLER
Es gibt solche Tage, da schleicht sich die Vergangenheit in die Gegenwart und erlaubt einen Blick in die Zukunft. Wie dieser 19. Juni vergangenen Jahres. Lothar Ulsamer, Büroleiter der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung der Zwangsarbeiter, zwängte sich unter die Studenten in einem Saal der Humboldt-Universität Unter den Linden in Berlin. Der Mann, der den 700 Millionen Mark schweren Zukunftsfonds der Zwangsarbeiter-Stiftung leiten sollte, hörte den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, und andere auf dem Podium – und musste sich zu Wort melden. Gegenhalten ist seine Mission.
Ans Brüllen gewöhnt
Es wurde ein Debakel. Hier ging es nämlich um eine Ausstellung zum Verscherbeln vom Besitz deportierter Juden an ihre „arischen“ Nachbarn in der NS-Zeit und höchstens indirekt um sein Thema, die Zwangsarbeiter. Dennoch drängte es Ulsamer zu öffentlichem Widerspruch: Er komme von der „viel gescholtenen Stiftungsinitiative“ outete er sich. Man verwechsle auf dem Podium die Opfervertreter und die amerikanischen Anwälte mit den Opfern. „Sprechen Sie mal wirklich mit den Opfern!“, wandte er sich an die Diskussionsleiterin. „Ich kenne einige hundert persönlich.“ Und zu Zwischenrufern im Publikum, die sich empörten, sagte er: „Ich bin von Haus aus Soziologe, insofern können Sie so viel brüllen, wie Sie wollen.“ Er sei das gewöhnt. „Damals ging es viel rauer zu.“
Und damals wie heute hat er sich selbst ins Abseits geredet und geschrieben: Ulsamer war bisher der Kandidat der Wirtschaft für den Zukunftsfonds der Bundesstiftung zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter. Der Daimler-Angestellte sollte dem Fonds mit einem Grundkapital von 700 Millionen Mark vorstehen. Jährlich mindestens 30 Millionen Mark wird die Leitung des Fonds für die Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit ausgeben können und damit die Gedenklandschaft der Bundesrepublik beträchtlich prägen. Doch die Vergangenheit hat Ulsamer eingeholt. Und wie das bei so vielen öffentlich auftretenden Personen in diesen Tagen ist: Die Siebzigerjahre haben ihn gefressen.
Am 8. Mai im Jahr 1952 in Stuttgart geboren, rutschte er in diese trübe, hass- und kampfgeprägte Nachspielzeit der 68er-Revolte hinein – und positionierte sich auf der anderen Seite der Barrikade. Zuerst engagierte er sich bei der Jungen Union, wagte sich dann ins revolteerprobte Tübingen zum Studium der Soziologie, Geschichte, Politologie und der Volkskunde und wurde Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung. Schon damals begann er, sich im rechten publizistischen Spektrum zu profilieren.
Er suchte sich einen Doktorvater für ein Thema, das ihn beschäftigte: „Zeitgenössische deutsche Literatur als Ursache oder Umfeld von Anarchismus und Gewalt?“ Ulsamer fand ihn an der Universität Würzburg in Lothar Bossle, den Franz Josef Strauß gegen den Widerstand fast der ganzen Alma Mater auf einen Soziologielehrstuhl platziert hatte. Bossle stand im Ruf, wissenschaftlich hanebüchene Dissertationen zu akzeptieren, die sich nur durch eines auszeichneten: eine stramm rechte Ausrichtung.
Dem wurde auch Ulsamers Doktorarbeit gerecht. Die „alten Nazis“, die die Nachkriegszeit der Bundesrepublik mit prägten, wurden nur in Anführungszeichen genannt. Die These: Kritische Schriftsteller und Intellektuelle wie Böll oder Marcuse propagierten eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit und bereiteten durch ihre Schriften den Boden für die Gewalt: „Die Wurzeln der Gewalt“, so schrieb er noch 1987 in einem Buch, das auf der Promotion fußte, „reichen tief in die Bundesrepublik Deutschland, besonders tief haben sie sich in den intellektuellen Boden gegraben.“ Im Kern sagt diese Schrift Ulsamers nicht viel mehr als ein beliebtes Schlagwort: Schriftsteller seien Sympathisanten von Terroristen.
Ein freundlicher Herr
Der Liberalen Hildegard Hamm-Brücher fiel das Werk in die Hände. Sie sprach von „reinem Rechtsextremismus“ und von einer „Vorstufe zur Bücherverbrennung“. Noch bis 1991 publizierte Ulsamer Artikel in Blättern, die rechtsextremistischen Organisationen nahe standen, 1994 erschien ein Beitrag mit seinem Namenszug in der Jungen Freiheit. Alles bloß Jugendsünden?
Wer Ulsamer heute in den Berliner Räumen der Stiftungsinitiative besucht, trifft auf einen freundlichen Herrn mit starkem schwäbischem Zungenschlag, großen Koteletten, Stirnglatze, schwarzen Haaren, die auch auf seinen Fingern wachsen, und einer etwas strengen randlosen Brille.
Seine Dissertation, meint er, sei ein „zeitgeschichtliches Dokument“, von dem er sich nicht distanziere, das aber in seiner Zeit gesehen werden müsse. Der Artikel in der Jungen Freiheit sei ohne sein Wissen dort veröffentlicht worden – und die Beiträge für die schwarzbraunen Blätter hätte er nie geschrieben, wenn er gewusst hätte, wer dahinter stand. Dann sagt er herzlich ade – und man ist ratlos: Ist das alles nur ein großes Missverständnis, Ulsamer ein geläuterter Rechter, heute ein Konservativer, mehr nicht?
Nach seinem Studium leitete Ulsamer eine Projektgruppe im baden-württembergischen Sozialministerium zur Vorbereitung des Jahres der Senioren und des Jahres der Behinderten. Es folgten 14 Jahre als PR-Chef eines schwäbischen Kommunikationsunternehmens, bis er 1995 Leiter der Abteilung Mandatsbetreuung und Reden bei Daimler wurde – und damit ein wichtiger Mitarbeiter von Manfred Gentz. Der DaimlerChrysler-Finanzvorstand war einer der führenden Männer bei den Verhandlungen der deutschen Wirtschaft zur Entschädigungsfrage für NS-Zwangsarbeiter. Ulsamer sagt, der Kontakt mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen des Konzerns habe ihn stark bewegt. Er verweist darauf, dass er schon während des Golfkrieges gegen die Bombardierung Israels durch den Irak protestiert habe. Er sei keinesfalls ein Neonazi oder gar Antisemit.
Für die Aufgabe disqualifiziert
Unter den Kuratoren der Bundesstiftung für die Zwangsarbeiter findet man kaum jemanden, der über Ulsamers Arbeit für die Zwangsarbeiter und sein Auftreten bei den Verhandlungen während der vergangenen Jahren klagen würde – und schon gar nicht öffentlich. Einer bezeichnet ihn zwar als „ideologische Dreckschleuder“. Ein anderer nennt ihn den „Wachhund der Wirtschaft“ in dem Deal mit den Opferanwälten. Doch Lob gibt es auch: Der SPD-Bundestagsabgeordneter Dietmar Nietan, ebenfalls Kurator, meint: Mit Ulsamer könne man „sehr gut“ zusammenarbeiten, „hart, aber fair diskutieren“ – und Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Gesinnung gebe es bei ihm nicht. Ultrakonservativ sei er, heißt es andernorts milde, aber das sei noch nicht rechtsextrem.
Dennoch: Ulsamer ist beschädigt, allein durch die öffentliche Diskussion über seine Dissertation. Die Kuratorin Ulla Jelpke, PDS-Bundestagsabgeordnete, meint, Ulsamer habe sich durch seine Publikationen am schwarzen Rand für die Aufgabe eines Zukunftsfondschefs disqualifiziert. Ein Kurator, der ihn als Konservativen betrachtet, gibt zu bedenken, ob nicht dieser Makel ihn in seiner Position schwäche, zumal aus der Sicht der Opferverbände. Und dadurch nehme die gute Sache ebenfalls Schaden. Ähnliche Gedanken gibt es in Konzernzentralen der Wirtschaft, weshalb man sich nun entschlossen hat, den Posten des Zukunftsfondsleiters auszuschreiben.
Nur ein Tropfen Vergangenheit
Trotz dieser Kränkung: Ulsamer hat sich noch nicht entschlossen, ob er sich dennoch bewirbt. Schließlich sieht er sich als einer der Väter des Zukunftsfonds. Ulsamer hat einen Krimi mit dem Titel „Nur ein Tropfen Vergangenheit“ geschrieben – ist seine rechte Zeit nur eine Phase in seinem Leben gewesen? Im „Syndikat“, der Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren, wurde im Dezember ein Ausschlussantrag gegen Ulsamer gestellt. Im Mai will die Vollversammlung der Autoren über einen Auschluss entscheiden.
Die Herzen werden ihm nicht zufliegen – ebenso wenig wie in der Humboldt-Universität, als er einräumen musste, dass er die Ausstellung, um die es ging, noch gar nicht gesehen habe. Dennoch fühlte sich Ulsamer gedrängt, auch den drei jüdischen Diskutanten zu raten, dass sie sich das Holocaust-Museum in Washington anschauen sollten: Das sei objektiver als ihre Ansichten. Friedman reagierte gereizt auf Ulsamers Äußerung: „Sie sind ein Stück meiner Gegenwart“, setzte er an. „Sie auch“, konterte Ulsamer. „Ja, gut so, sehr gut so“, antwortete Friedman, „und seien Sie sicher, ich bleibe auch ein Stück Ihrer Zukunft.“ Tosender Beifall. Der designierte Chef des Zukunftsfonds hatte nichts mehr gegenzuhalten. Es gibt solche Tage.
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