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Die Kälte mit einer Umarmung verschrecken

Der Preis für ein kritisches Buch ist in Kolumbien das Exil: Der Schriftsteller Arturo Alape ist Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte  ■ Von Heike Dierbach

Um mit der Kälte zurechtzu- kommen, haben Arturo Alape und seine Familie sie studiert. Und klassifiziert. Da ist die „Traum-Kälte“, die Lippen, Finger und Ohren einschlafen lässt. Die regnerische Kälte, die vorgibt, mit dem Regen zu verschwinden, aber den Körper auf ihrer Flucht steif zurücklässt. Und dann die Kälte, die in den Zimmern wohnt, und die sich nur mit einer Umarmung verschrecken lässt.

Aber alle Kälte in Hamburg ist nicht so schlimm wie in Bogotá die pausenlose Anspannung, erzählt Alape. Wie das Gefühl, dass einen beschleicht, wenn man seinen Namen auf den Todeslisten der Paramilitärs liest. Der Schriftsteller tauschte die Wärme des südamerikanischen Landes gegen Sicherheit in Norddeutschland: Arturo Alape ist für ein Jahr Gast der Hamburger Stiftung für Politisch Verfolgte.

Es ist nicht das erste Exil für den 62-Jährigen: Vor 13 Jahren musste Alape schon einmal für vier Jahre fliehen, nach Kuba. Damals hatte er gerade den ersten Teil einer Biographie über Manuel Marulanda veröffentlicht. Marulanda ist Anführer der linksgerichteten „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (FARC), der mit 16.000 KämpferInnen größten Guerilla des Landes. Alape verstand sein Buch als Beitrag zum Friedensprozess – und wurde zur Zielscheibe der rechten Paramilitärs. Mittlerweile ist der zweite Teil der Biographie fertig, und die FARC hat die Friedensverhandlungen suspendiert, weil die Regierung nicht gegen die Paramilitärs vorgeht.

Die verzeihen Alape sein Buch nicht: Auf Plakaten beschuldigen sie ihn und andere Intellektuelle, „den Krieg und den Klassenkampf“ anzustacheln und drohen: „Die werden bezahlen.“ Im vergangenen Jahr ging Alape nur noch mit bewaffneten Leibwächtern auf die Straße, „aber da habe ich mich erst recht gefährdet gefühlt“. Er versteckte sich. „Am schlimmsten“, erzählt er, „ist die Selbstzensur. Du fängst an, ständig zu überlegen, was du sagtst, damit die Situation nicht noch schlimmer wird.“ Die Freunde werden misstrauisch, weil man eine Gefahr für sie ist. In dieser Situation kam das Angebot aus Hamburg. Alape nahm an. Der Preis für ein kritisches Buch ist in Kolumbien immer noch das Exil – wenn man Glück hat.

Jetzt sitzen Arturo Alape, seine Frau Katia und ihre beiden Kinder Paloma (7) und Nicolás (9) im Hamburger Schanzenviertel, in einer hübschen, ruhigen Drei-Zimmer-Altbau-Wohnung. Überall an den Wänden kleben Zettel mit deutschen Vokabeln: „Das Sofa“, „der Fußboden“, „das Bild“. Die Erfahrungen aus Kuba helfen ihm jetzt, sagt Alape: „Man darf sich dem Heimweh nicht ergeben, sonst zerbricht man.“ Er hat sich vorgenommen, die Zeit hier zu nutzen, sich Hamburg „anzueignen“. Zu versuchen, sich in der U-Bahn und im Supermarkt zurechtzufinden, die Menschen zu verstehen, sich eine Normalität aufzubauen. Die Alapes haben sich aufgemacht, die Museen besucht, die Kunsthalle.

Immer wieder laufen sie einfach los mit den Kindern, durch die Straßen, verlaufen sich, nehmen die fremde Alltäglichkeit in sich auf. Noch allerdings ist die Stadt für ihn „nicht zu entziffern“, sagt Arturo. Dann ertappt er sich, wie er wieder hungrig nach Nachrichten aus Kolumbien vor dem Internet sitzt, im dicken Strickpullover und in neuen Winterstiefeln. Neben dem Computer haben die Alapes eine Hängematte aufgehängt.

Den Kindern fiel es am leichtes-ten, Kolumbien zu verlassen. „Für sie ist es ein Abenteuer“, erzählt Alape. Und hier sind gerade sie es, die für Alltag sorgen. Wie alle Kinder wollen sie morgens ein Frühstück gemacht bekommen und ein Pausenbrot, wollen zur Schule gebracht werden. Bis Arturo und Katia sich allerdings getraut haben, sie allein nach Hause kommen zu lassen, hat es ein paar Wochen gedauert: „In Bogotá können die Kinder nicht allein auf die Straße.“ Hamburg ist für den Kolumbianer eine „hundertprozent sichere Stadt“. In seinem Land werden jeden Tag 30, 40 Menschen ermordet. Die Entführten und Verschwundenen nicht mitgerechnet.

Und dann gibt es wieder Dinge, die überall gleich sind. Diskussionen mit dem Nachbarn, der bis zwei Uhr morgens laut Musik hört – „die hast du in Bogotá genauso“. Bevor sie nach Hamburg kamen, hatte vor allem Katia Angst, dass die Familie hier mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert würde. Aber bisher haben sie keine schlechten Erfahrungen gemacht. Nur am Flughafen in Frankfurt, als Alape seinen kolumbianischen Pass vorzeigte: „Der gilt ja weltweit fast schon als Haftbefehl – als ob alle Kolumbianer mit Drogen handeln. Aber ich handle doch nur mit Büchern und Gedanken.“ Die schriftliche Einladung der Hamburger Stiftung war da schon nützlicher, um die Grenze zu passieren.

Alape weiß, dass viele Flüchtlinge keinen solchen Türöffner haben: „Europa macht immer mehr zu.“ Aber – das gehört zu seinen ersten Erlebnissen in Hamburg – es gibt auch Solidarität. „Früher kannte ich das nur aus sozialistischen Ländern“, sagt Alape, der lange Mitglied der Kommunistischen Partei war, „aber jetzt habe ich auch hier viele Menschen getroffen, denen es nicht egal ist, wenn andere schlechter leben als sie.“

600.000 KolumbianerInnen sind allein in den vergangenen zwei Jahren ausgewandert, darunter 80.000 HochschulabsolventInnen. Auch wer nicht auf einer Todesliste steht, flieht vor der alltäglichen Gewalt. Und doch ist Kolumbien auch ein wunderschönes Land, sagt Alape: „Sie müssen unbedingt einmal kommen.“ Die beiden Meere, der karibische Golf von Mexiko und der offene Pazifik – „echte Meere, nicht das, was man hier so nennt“ –, die Cordilleren-Bergkette, der Urwald: „Es ist ein Genuss.“ Und natürlich die Menschen. Alape hat sie nach Deutschland mitgenommen, auf seinen Bildern, denn studiert hat er eigentlich Malerei. Für die Politik hatte er seinen Beruf aufgegeben und erst im Exil in Kuba wieder entdeckt. Aus seiner Zeit als Maler stammt auch sein Pseudonym: Alape war der Name eines indigenen Bauernführers.

Arturo Alape arbeitet mit kräftigen Farben und Kontrasten – seine Landschaften erinnern ein wenig an Emil Nolde. Die Menschen auf seinen Bildern spiegeln das Leben in Kolumbien: Eine Frau und ein Kind mit gehetztem Blick, auf der Flucht. Aber auch die Fröhlichkeit an einem Abend mit Freunden. „Malen ist eine Art des Trostes“, sagt Alape, „es gibt einem das Recht, zu träumen.“ Die Bilder, die er bisher in Hamburg geschaffen hat, erzählen alle von Kolumbien. Kuba konnte er damals auch erst malen, als er wieder zu Hause war. Daneben nutzt Alape die Ruhe in Hamburg, um an seinem neuen Roman zu schreiben. Er handelt von einer Frau, deren Mann verschleppt und ermordet wird, und die bei der Suche nach Beweisen über sich hinaus wächst.

Katia fragt, ob es wohl noch lange dauere, bis es in Hamburg wieder wärmer werde? Noch ein biss-chen, leider. Aber der Frühling hier wird eher kommen als in Kolumbien der Frieden.

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