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Fahrrad in Goldrand

■ Die Kunsthalle packt Schätze aus: lustig-leuchtende Plakate von Toulouse-Lautrec, Bonnard, Vallotton und anderen

Alice Schwarzer würde toben. Kaum ein Plakat, auf dem nicht sterngüldenes Frauenhaar wallt, flammt, sprudelt wie ein wild gewordener Gebirgsbach und Fingerchen sich gar lieblich spreizen wie bei einem Rokokoengel von Ignaz Günther. Busen, manchmal sogar mehrere, gibt es auch. Seit es Werbung gibt (vielleicht sogar seit es Menschen gibt) werden alle möglichen (und besonders gerne die unmöglichen) Produkte mit einem Hauch Erotik umflort: Job-Zigarettenpapier, ungemein sexy, Saxoleine-Petroleum, wie grazil, und erst die frivolen Fahrräder der Marke Waverley, die düsen halbnackicht daher.

Der Plakatbestand der Bremer Kunsthalle zählt zu den üppigsten der Republik, neben denen von Hamburg, München, Dresden und Berlin. 600 Stück aus aller Welt schlummern gerollt, gefaltet, halbzerbröselt oder zerfetzt im Depot. 208 Plakate stammen aus Frankreich, zum Teil allerdings angefertigt von Immigranten, etwa den aus Lausanne stammenden Grasset und Steinlen oder dem in Mähren geborenen Alphonse Mucha. Diese französischen Plakate, allesamt aus dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, wurden nun restauriert, zum Teil auf Japanpapier aufgezogen und von Anne Buschhoff kunsthistorisch in einem hübschen Katalog aufgearbeitet. 88 davon gehen nun wieder ihrer ursprünglichen Wesensbestimmung nach: an der Wand zu hängen.

Doch keineswegs alle hingen früher einmal in Schneegestöber und Regen an den 1854 ,erfundenen' Säulen des Ernst Litfaß oder an den Bauzäunen jener protzigen Boulevards, die Baron Haussmann ab 1853 durch die Eingeweide von Paris fräste. Schon seit 1880 nämlich gingen einige Exemplare gleich nach Druck in den Galerieverkauf; zum Teil in besonders wertvollen Sondereditionen, wo der Produktname und alle anderen Schriftzüge fehlen. Die Grenzverwischung zwischen Werbung und Kunst ist eben keine Erfindung unseres Zeitalters des Videoclips. Einer, der früh zu sammeln anfing, war ein gewisser Dr.  Hermann Henrich Meier. Er verstarb 1905 und vermachte der Kunsthalle ein beachtliches Plakatsortiment, aus dem sich die jetzige Ausstellung zum großen Teil rekrutiert.

Plakate können auf eine lange Ausstellungserfahrung zurückblicken. Dass sie bei der Pariser Weltausstellung von 1889 neben anderem Kunsthandwerk gezeigt wurden, ist vielleicht nicht weiter verwunderlich. Sie hielten jedoch erstaunlich schnell Einzug in die großen Musentempel. Auch in die Bremer Kunsthalle. 1913 in der Ägide Gustav Paulis ist dort eine Plakat-austellung dokumentiert. Und der Katalog verweist auf eine noch frühere Ausstellung im Jahr 1898; mit welchen Objekten die bestückt war, ist leider ungewiss.

Da um 1900 der Siebdruck noch nicht erfunden war, handelt es sich bei diesen Bildern logischerweise um Lithografien – seit 1880 waren die technischen Voraussetzungen für einen Mehrfarbendruck (wobei jede Farbe eine eigene Platte beanspruchte) in großem Format gegeben. Sie wirken nicht wie unendlich reproduzierbare Massenware, sondern haben das Flair von Kunstgrafik, wo man Papierqualität und Farbauftrag durchaus genießen kann. Obwohl der Wert einiger Exemplare im sechsstelligen Bereich liegt, hat sich die Kunsthalle dazu durchgerungen, unverglast zu hängen. Der Eindruck einer flüchtigen Wandbefestigung mit Reißzwecken wurde durch Magnet-Pins nachgeahmt. Der Effekt ist atemberaubend, zumal die Dinger riesengroß sind, manche wie Anselm-Kiefer-Schinken (oder eine Mahagonyschrankwand, was fast dasselbe ist).

Jules Cheret war der erste Pla-katmacher, der als Künstler gefeiert wurde. Und plötzlich war das Interesse etablierter Künstler geweckt: Bonnard, Denis, Vallotton und natürlich Toulouse-Lautrec. Dessen grafische Hymnen auf das Moulin Rouge entzücken die Kunstwissenschaft besonders aufgrund des silhouettenhaften Stils und dem Einfluss von japanischen Farbholzschnitten (passend zur Hokusai-Ausstellung in der Kunsthalle). Schöner aber ist ein Plakat von Cheret. Es schreit nach Aufmerksamkeit in den Primärfarben Rot, Gelb, Blau. Der jugendstilige Alphons Mucha dagegen mischt herrlich schwülstig ein pompejanisches Rot mit Gold, Lindgrün und Grau. Das leuchtet ausgesprochen nobel.

Etwa die Hälfte der Plakate der Sammlung H. H. Meier betreibt schnöde Produktanpreisung. Die andere Hälfte lockt in die berühmten Pariser Nachtclubs mit ihren glamourösen Tänzerinnen, Couplet- und ChansonsängerInnen. Andere bewerben die berühmte Literaturzeitschrift „La Revue blanche“ aus dem Nabis-Umfeld. Und hinter jedem Plakat steckt eine Anekdote, nachzulesen im Katalog: etwa über die Eitelkeit der großen Sarah Bernardt, die unvorteilhafte Plakate einstampfen ließ, oder über den Harald-Schmidt-Vorfahren Aristide Bruant, der für seine Publikumsbeschimpfungen geliebt wurde, wie beneidenswert. Und ein Kaufhaus zeigt seine Orientteppichabteilung, und der Kunde tritt auf wie ein widerlicher Kolonialist.

Und dann ist da noch ein Plakat des sozialkritischen T.-A. Steinlen. Es wirbt für den Zeitungs-Vorabdruck von „Paris“ aus Zolas Städtetrilogie. Da erhebt sich über einem händeringenden proletarischen Menschenknäul eine rauchverseuchte Paris-Skyline mit der Baustelle von Sacre Coeur, jenem Kirchenneubau, der seinerzeit wegen seines obszönen Prunks höchst umstritten war. Dieses düstere Plakat bildet den wichtigen Kontrapunkt zum trügerisch-schönen Rest. bk

„Blickfänger. Frz. Plakate um 1900“ bis 16. April zu sehen, Vernissage am Sonntag, 11.30 Uhr

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