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Picknick im Park

Den Tod durch die Schönheit des Lebens aushebeln: In „As I was moving ahead occasionally I saw brief glimpses of beauty“ (Forum) fügt Jonas Mekas, Godfather des Independent, wunderbar die Bruchstücke des Privaten zusammen

Filme, die über fünf Stunden dauern, kann man meditativ genießen oder als Disziplinierungsmaßnahme verachten. Nur nicht bei Jonas Mekas, dessen zusammengecuttetes Super-8-Werk nach 288 Minuten mit berauschtem Akkordeonspiel unter einer weiß leuchtenden Glühbirne zu Ende geht. Dann könnte der Film immer weiter laufen, weil er einfach aus bewegten Bildern einer sanft bewegten Welt komponiert ist: die frühen Siebzigerjahre, Picknick mit Rotwein im Central Park, Jongleure am Broadway und Künstler in den Lofts von Soho. Kinder werden geboren, wachsen heran, Regen wechselt sich auf den Straßen von New York mit Schnee ab. Schön war die Zeit, schön ist das Leben, und wer es nicht merkt, dem sagt Jonas Mekas alle paar Minuten aufmunternd in die Stille hinein: „That was ecstasy, that was beautiful, my friend.“

Dabei ist Mekas, der 1922 in einem winzigen Dorf in Litauen geboren wurde, nach dem Einmarsch der Deutschen in Elmshorn interniert wurde und noch bis 1949 in Mainz lebte, bei aller Begeisterung für Experimente ein beherrschter Filmemacher. Sonst hätte ihn Andy Warhol nicht schon 1964 die Kamera für „Empire“ acht Stunden lang stur auf das Hochhaus in Manhattan richten lassen. Sonst wäre er nicht zum Dokumentaristen der fröhlich driftenden Fluxus-Bewegung geworden. Sonst hätte er nicht über drei Jahrzehnte das „Anthology Film Archive“ leiten können. Manchmal wird er wegen all dieser Aktivitäten als „Godfather des Independentkinos“ bewundert. Und trotzdem reist er meistens nur mit einem Koffer voller Videos oder Filmrollen zu allen möglichen Festivals – Hauptsache, jenseits von Hollywood.

Tatsächlich hat der inzwischen 78-jährige Mekas mit unglaublicher Ruhe aneinandergefügt, was sich zwischen 1970 und 2000 an „glimpses of beauty“ bei ihm angesammelt hat. Schnipselweise wurden unspektakuläre Szenen montiert, die keine Geschichte erzählen, sondern als sehr persönliche Erinnerung des Regisseurs in den Tag hineinleben. Mekas nimmt sich das Recht, seine täglichen Freuden mit anderen teilen zu wollen, ohne dabei den Rahmen des Privaten zu verlassen. Weil er Menschen nicht versteht, guckt er ihnen zu, wie sie das tun, was sie immer machen; er interpretiert die Bilder aber nicht, sondern lässt sie gleich wieder im Fluß mit neuen Bildern aufgehen. Mekas ist ein Schmetterling, der an den Dingen des Lebens nascht und von Moment zu Moment flattert, bis der Tag vorbei ist.

Nachts sitzt er dann allein in seinem Schneideraum und weiß gar nicht, was es noch groß zu sagen gäbe, schließlich „wissen wir nichts von den Dingen, was wir nicht selbst in sie hineingelegt haben“. Und eigentlich reicht es ja auch, wenn man filmt, was es zu sehen gibt, weil die gefilmte Wirklichkeit ohnehin niemals wirklicher werden kann. Sagt Mekas und lacht. Beim nächsten Mal – inzwischen hat man Geburtstagsfeiern und Erstkommunionen gesehen –, erzählt er, dass das Kino unschuldig ist, die Menschen aber nicht, und dann lacht er auch wieder.

Diese Einstellung zu den Dingen macht seine Aufnahmen sehr politisch. Gegen das öffentlich reproduzierte Rauschen von bloßen Befindlichkeiten philosophiert Mekas über die Bedingungen sozialer Verhältnisse, darüber, dass das Leben plump existenzialistisch und deshalb hocherfreut weitergeht, wie man immer wieder auf eingeblendeten Texttafeln lesen kann. Nie will sich Mekas von etwas trennen: Auch wenn er sein eigenes Gesicht filmt, scheint er darauf zu warten, dass sich das Gegenüber irgendwann verabschiedet. Blumen können das sehr gut, die verblühen. Menschen können das nicht, die müssen sterben. Den Tod sieht man bei ihm trotzdem nie. Das ist die vielleicht größte Schönheit in Mekas’ Film.

HARALD FRICKE

„As I was moving ahead occasionally I saw brief glimpses of beauty“. Regie: Jonas Mekas, USA, 288 Min.

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