: „Irgendwann wurde das rituell“
An seinem jüngsten Film, „Werckmeister Harmóniák“ (Forum), hat der ungarische Regisseur Béla Tarr dreieinhalb Jahre gedreht – und dreht weiter. Der Berliner Schauspieler Lars Rudolph, von Anfang an dabei, über den radikalen Visionär
Interview ANKE LEWEKE
Dreieinhalb Jahre, in denen er mehr als 60-mal zwischen Ungarn und Berlin hin- und hergeflogen ist, hat Lars Rudolph in ein Projekt investiert, das man inzwischen nicht mehr nur als Film bezeichnen kann. Denn Béla Tarr ist der Mystiker, Spiritualist, Visionär und Bilderbesessene unter den Regisseuren. Sein Film „Werckmeister Harmóniák“ handelt von dem Postboten Valuschka, der durch apokalyptische Stadtlandschaften zieht.
taz: Sie haben schon mal ein Drehbuch geklaut, um in einem Film mitzuspielen. Wie sind Sie an die Rolle in Béla Tarrs Film gekommen?
Lars Rudolph: Vor fünf Jahren habe ich bei einem Kurzfilm in der dffb mitgemacht. Einer der Studenten sagte mir, dass ich den Dozenten der Klasse unbedingt kennen lernen müsse. Das war Béla Tarr. Er hat dann direkt ein Polaroid von mir gemacht. Es gab da bei ihm so ein Blitzen in den Augen, und ich wusste, dass er sich melden würde. Und dann kam er tatsächlich mit dem Drehbuch zu „Werckmeister Harmóniák“ an. Ich war sozusagen der erste Stein für ein Projekt, das er schon länger mit sich herumtrug, die Verfilmung des ungarischen Romans „Die Melchancholie des Widerstands“ von Lázló Krasznahorkai.
Was war es denn, was sie bei Béla Tarr ausgelöst haben?
Ich weiß es nicht genau. Er hat immer wieder gesagt, dass ich sein Valuschka bin, also die perfekte Verkörperung dieses naiven Postboten. Der Beginn der Dreharbeiten war dann schon merkwürdig: Ich sollte mich nicht in irgendeiner Weise vorbereiten, sondern einfach Valuschka sein und durch den Raum, über den Marktplatz laufen. Weil Béla Tarr an die Religion der extrem langen Einstellungen glaubt – alles andere ist ihm zu konventionell –, dauert es natürlich Ewigkeiten, bis eine Szene eingerichtet ist. Manchmal mussten wir bis zu vier Tage proben, bevor wir drehen konnten, und dann noch mal vier Tage, bis die Szene auch Bélas Vorstellungen entsprach. Aber irgendwann hatte das wiederholte Drehen auch etwas Rituelles an sich.
Auch der Film hat etwas Ritualisiertes. Konnte Béla Tarr denn seine Vorstellungen vermitteln?
Nicht wirklich. Er hat sich im Grunde während der Dreharbeiten hinter seine Fernsehmonitoren zurückgezogen und von dort aus alles dirigiert. Überhaupt ist er ein eher in sich gekehrter Mensch. In seinem Büro hängt lediglich ein Foto von Thomas Bernhard. Aber jetzt nach den Dreharbeiten, jetzt, wo wir mit dem Film durch die Festivals touren, kommen wir uns auch näher und ergänzen uns bei den Interviews.
Dann können Sie vielleicht ein wenig in die Symbolik von Béla Tarrs Werk einführen. Wofür steht zum Beispiel der große Wal mit dem Prinzen im Bauch?
Echt ein Riesensymbol. Der Wal drückt eine Vergänglichkeit aus und ist so etwas wie eine Urmutter, auch das allerletzte Urtier. Er steht aber auch einfach nur für sich und macht einen enormen Eindruck, wenn er da so vorgefahren kommt. Überhaupt gibt es bei Béla Tarr immer auch die Ebene, in der alles für sich steht und man nicht nach Bedeutungen suchen muss. Es hört sich vielleicht pathetisch an, aber ich würde schon von einer Spiritualität der Bilder sprechen. Vielleicht auch der Geschichte. Irgendwie schließt sich am Ende doch der Kreis, und es kann etwas Neues beginnen.
Diese Spiritualität geht auch von den Schauplätzen aus, die eine ganz besondere Stimmung in sich tragen.
Béla Tarr ist durch die Ukraine und Rumänien gereist, um geeignete Schauplätze zu finden. Sie sollten auch eine Geschichte in sich tragen, von einer anderen Zeit erzählen. Zum Beispiel ist dieser Marktplatz, wo der Wal aufgestellt wird, so etwas wie die Verkörperung eines Marktplatzes in all seinen historischen Funktionen. So einen findet man auch in Ungarn nicht mehr, da sind auch schon überall die McDonald’s-Dinger. Die Gesichter haben bei Béla Tarr eine ähnliche Ausstrahlung – irgendwie sind das Urgesichter.
Wie haben eigentlich Béla Tarr und Hanna Schygulla zueinander gefunden?
Eigentlich ist Hanna Schygulla das Drehen mittlerweile zu anstrengend. Aber sie hat auf einer Retrospektive in Paris die Filme von ihm gesehen und war so beeindruckt, dass sie Béla einen Brief geschrieben hat, um ihm zu sagen, dass er der einzige Regisseur ist, mit dem sie noch drehen möchte. Ich bin ein sehr großer Schygulla-Fan und war sehr froh, mit ihr in einem Hotel wohnen zu dürfen.
Mit Hanna Schygulla und Peter Fitz haben Sie dann so etwas wie eine deutsche Enklave gebildet . . .
Wir haben schon so unsere Feste gefeiert und uns in den Hotelzimmern getroffen. Peter Fitz ist aber erst nach einem Jahr dazugestoßen, und wir mussten alles noch mal drehen. Ich glaube, die Badezimmerszene habe ich mindestens 200-mal gedreht.
Dreieieinhalb Jahre haben Sie alle an diesem Projekt zusammengearbeitet. Wie schafft es Béla Tarr, die Leute immer wieder zu motivieren?
Irgendwie geht es ja immer noch weiter, obwohl der Film schon auf einigen Festivals lief. Vor fünf Wochen war ich gerade wieder in Ungarn. Wir haben die Szene, in der die Stadt explodiert, nachgedreht, die war zu dunkel geraten. Der Kameramann war wohl wieder betrunken. Aber Béla Tarr ist von seiner Vision, seinen Bildern so besessen, dass er immer weiterkämpft, weiterstreitet, bis irgendwo wieder Geld herkommt. Ich glaube, dass wir alle immer weiter mitmachen, liegt daran, dass man sozuagen ein Teil dieser Vision ist. Vom Schauspieler bis zum Kabelträger spüren alle, dass da etwas am entstehen ist, was größer, bedeutender ist als man selbst. Da ist eben einer der letzten Visionäre am Werk.
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