Oralsex mit dem Gasboiler

An einem müden Montagmorgen sollte man die Zeichen der Zeit richtig deuten

Blasse Christenfrauen in Hemdblusenkleidern würden an meiner Tür klingeln

Schon die erste Wahrnehmung verhieß, dass dieser Montag ohne mich auskommen musste. Der in meinem Sado-Radiowecker wohnende Phil Collins hatte mich mit „Another Day in Paradise“ wachgefoltert. Ich gab der japanischen Elektronik-Missgeburt mit der Rechten mächtig was auf die Schlummertaste. Collins, der nölende Inselaffe innendrin, hatte offensichtlich genug abbekommen und hielt fürs Erste sein Maul. Die Hündin zu meinen Füßen drehte sich dankbar auf den Rücken, ließ Luft an den Bauch und schlief in dieser obszönen Haltung weiter.

Als die Gauloise zwischen meinen Lippen klebte, fiel mir ein, dass ich im Bett nicht rauche. Das hatte ich mir selbst verboten. Die nahe liegende Alternative war das Badezimmer. Doch dafür hätte ich aufstehen müssen. Außerdem war ich sicher, dass mein Feuerzeug in der Küche lag, eine Etage tiefer. Ich lasse es immer absichtlich da liegen, um morgens nicht in die Verlegenheit zu geraten, mir im Badezimmer eine Fluppe anzustecken und damit schnell wieder rüber ins Bett zu kriechen. „Wieso“, brummte es mir durch den Kopf, „wieso lasse ich eigentlich die verfluchten Zigaretten nicht auch unten?“ Wahrscheinlich, weil mein inneres Schwein mir so die Möglichkeit offen hält, am Gasboiler im Bad Feuer zu holen. Erfahrene Abhängige kennen das. Man hängt in dieser unwürdigen Haltung, halbschräg über die Wanne gebeugt, ein Bein neben dem Klotopf und Mund mit Kippe dicht vor dem Loch mit der Flamme dahinter. Was so aussieht, als habe man Oralsex mit dem Durchlauferhitzer. Schon der Gedanke daran war so abstoßend, dass ich es trotz des Lungenschmachts schaffte, liegen zu bleiben.

Ich zog die kalte Zigarette aus dem Mund und legte sie auf Collins’ Wohnung. Im selben Moment schaltete die Schlummerautomatik wieder auf Sendung. Phil war immer noch betäubt, dafür sein Mitbewohner, der Nachrichtensprecher, umso wacher. Kaum hatte er die Worte „Außenminister Fischer distanziert sich erneut von“ gesagt, kriegte der Japaner direkt wieder was auf die Mütze, diesmal noch härter als vorhin. Kein Problem, der Asiate hält eine Menge aus. Äußerlich ließ er sich nichts anmerken, sorgte aber dafür, dass der Nachrichtenmann innen die Klappe hielt. Gut so, ich wollte jetzt nichts hören von bekehrten Süchteln, die ein verschissenes Problem mit ihrer halbstarken Vergangenheit haben.

Ich versuchte mich zu konzentrieren und die Zeichen zu deuten. Was konnte ein Tag bringen, der ohne Zigarette, aber mit Phil Collins und Joseph Fischer begann? Bestimmt würde ich den Kühlschrank aufmachen und statt eines Stücks Käse einen Haufen Frühstücksschimmel finden. Blasse Christenfrauen in Hemdblusenkleidern würden an meiner Tür klingeln und mir den geänderten Anfangstermin des Weltuntergangs mitteilen.

Die Hündin würde auf dem unvermeidlichen Gang zur Köttelwiese den Yorkshire der querschnittsgelähmten Rollstuhlfahrerin angreifen. Ein problematisches Pärchen. Die junge Frau hasst mich, weil meine Hündin die haarige Handtasche in ihrem Schoß hasst. Die zwei kläffen bei jeder Gelegenheit in schmerzender Lautstärke auf uns ein. Wenn die beiden nicht im Rollstuhl säßen, hätte ich sie längst mal final beleidigt. Doch dazu fehlt mir noch die Abgeklärtheit.

Ich nahm die Zigarette vom immer noch stillen Radiowecker, schlurfte ins Bad, überwandt mich am Gasboiler, setzte mich auf den Topf und rauchte in Ruhe. Damit sollte es vorerst für heute getan sein. Man darf das Schicksal nicht herausfordern. Vorsichtig ging ich den einzig vernünftigen Weg dieses Tages und erreichte das Bett unverletzt. FRITZ ECKENGA