: Und noch mal fällt die Mauer
Der starke Mann der Berliner Landespolitik galt als unangreifbar. Damit ist es jetzt vorbei: Die Dämme der Verschwiegenheit halten nicht mehr
aus Berlin RALPH BOLLMANN
Klaus Landowsky ist ein Mann der offenen Worte. Als das Springer-Blatt B. Z. den Berliner CDU-Fraktionschef am Wochenende zu seiner Spendenaffäre befragte, da suchte er die Vorwürfe gar nicht mehr ernsthaft zu entkräften. Stattdessen kam er unverblümt auf die machtpolitische Kernfrage zu sprechen. „Ich habe nicht 40 Jahre gearbeitet, damit jetzt eine bürgerliche Mehrheit beseitigt werden soll“, begründete er seinen Willen zum Aussitzen.
Ob die graue Eminenz der Berliner Landespolitik damit durchkommt, ist allerdings ungewiss. Nach immer neuen Enthüllungen wird auch die eigene Partei nervös. Heute früh um halb acht treffen sich die Berliner CDU-Gremien zu einer gemeinsamen Krisensitzung. Für Landowsky, der im Zweitberuf die landeseigene Bank Berlin Hyp leitet, wird die Luft immer dünner. In der vergangenen Woche musste er zugeben, dass er eine Parteispende von CDU-Mitgliedern angenommen hat, denen sein Institut gleichzeitig einen Millionenkredit gewährte. Der Spiegel zitiert heute aus einem internen Vermerk der Spender, der „die zugesagte Spende für K. L. 40 TDM“ in einen direkten Zusammenhang mit der Kreditvergabe rückt.
Wegen seiner Doppelrolle als Bankchef und Fraktionsvorsitzender war Landowsky schon oft kritisiert worden – lauthals von der bündnisgrünen Opposition, leise vom sozialdemokratischen Koalitionspartner, allenfalls hinter vorgehaltener Hand in der eigenen Partei. Als starker Mann nicht nur der Berliner CDU, sondern auch der großen Koalition und damit der Landespolitik insgesamt galt Landowsky jedoch als unangreifbar. Damit ist es nun vorbei: Die Dämme der Verschwiegenheit halten nicht mehr stand, vertrauliche Papiere werden an die Presse weitergereicht.
Ein Jahrzehnt nach dem Fall der Mauer bricht das politische System des alten Westberlin zusammen. Seit den Achtzigern hatten CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen und sein „Macher“ Klaus Landowsky die Politik im Stadtstaat fest im Griff. In den späten Sechzigern waren die beiden Studienfreunde ausgezogen, um die muffige Landespartei auf Trab zu bringen, die zur Daueropposition verdammt schien. In den Siebzigern gelang ihnen gemeinsam der Marsch durch die CDU-Institutionen.
Immer mit Lottogeld zur Stelle
Seit 1984 amtiert Eberhard Diepgen als Regierender Bürgermeister, längst ist er der dienstälteste Ministerpräsident der Republik – trotz des rot-grünen Intermezzos unter dem SPD-Bürgermeister Walter Momper. Landowsky organisierte die nötigen Mehrheiten, zunächst als Berliner CDU-Generalsekretär, dann als Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus.
Zum „System Landowsky“, wie es Kritiker bald nannten, gehörte aber mehr. Dazu gehörte nicht zuletzt der Parteibuchjob, den Landowsky bereits 1978 bei der landeseigenen Pfandbriefbank antrat. Die Karriere im Kreditgewerbe führte den CDU-Politiker bis in den Konzernvorstand der landeseigenen Bankgesellschaft, wo er als Chef der Tochter Berlin Hyp für das Immobiliengeschäft verantwortlich ist.
Als überaus nützlich erwies sich für Landowsky aber auch seine führende Rolle in jenem Stiftungsrat, der das Geld der Berliner Lottospieler verteilen darf. Wo immer es finanziell klemmte, ob im privaten Tennisclub oder in der repräsentativen Hochkultur: Der Fraktionsvorsitzende war mit Lottogeld zur Stelle. Seinen medialen Einfluss schließlich übte er im Rundfunkrat des Senders Freies Berlin (SFB) aus. Eine Senderfusion mit dem SPD-regierten Brandenburg hat er bislang erfolgreich verhindert.
Aber nicht nur als Multifunktionär ist Landowsky für die Berliner CDU unersetzlich, sondern auch als strategischer Kopf. Eine ganze Reihe von Faktoren musste zusammenkommen, um in der traditionell roten Stadt die Macht für die Union zu erringen und zu erhalten. Unter Willy Brandt errang die SPD einst 66 Prozent der Stimmen, und noch bei der letzten Wahl 1999 kamen SPD, PDS und Grüne zusammen auf fast 60 Prozent – trotz der rot-grünen Krise im Bund.
Landowsky hat es bislang verstanden, die anhaltende Spaltung der Stadt und die Schwäche der lokalen SPD auszunutzen. Er hat seine eigene Partei für neue Wählerschichten geöffnet und gleichzeitig den Koalitionspartner geschickt domestiziert. Während sich Eberhard Diepgen als präsidialer Landesvater ohne Ecken und Kanten präsentierte, hielt ihm Landowsky als Mann fürs Grobe den Rücken frei.
Sind nun Diepgens Tage gezählt?
Landowsky und Diepgen – so eng gehören die beiden Namen zusammen, dass bei einem Rücktritt Landowskys auch die Tage des Bürgermeisters gezählt wären. Die Spendenaffäre könnte einen Generationswechsel erzwingen, auf den jüngere Politiker in der Berliner Union schon lange warten. Der Fraktionschef hatte ihn schon lange angekündigt, aber immer wieder verschoben. Er traute keinem der möglichen Nachfolger zu, dass er der prekären Aufgabe gewachsen ist. Auf Bundesebene steht ihm der glücklose Fraktionschef Friedrich Merz als abschreckendes Beispiel vor Augen. Auch in Berlin gibt es in der jüngeren CDU-Garde eine ganze Reihe von Personen, deren musterschülerhafte Ausstrahlung nichts Gutes verheißt.
In der Geschichte der Bundesrepublik ist es kaum einem Ministerpräsidenten gelungen, so lange an der Macht zu bleiben wie Diepgen. Noch seltener hat es eine Partei geschafft, nach dem Abgang einer solch dominierenden Persönlichkeit ihre Mehrheit zu verteidigen. Da zeigt sich auch der Fluch einer allzu steilen Karriere: Mit 43 Jahren schon wurde Diepgen erstmals zum Bürgermeister gewählt. Heute fühlt er sich zu jung fürs Altenteil. Doch 16 Jahre sind nicht zufällig die Zeitspanne, nach der auch Helmut Kohl abtreten musste: Nach einer solchen Zeit drängt eine neue politische Generation nach vorne, das Publikum hat von den alten Gesichtern genug, und die Machthaber beginnen an Bodenhaftung zu verlieren. In Berlin kommt hinzu, dass sich die wichtigste Geschäftsgrundlage für das „System Landowsky“ allmählich verflüchtigt: die Enge und Abgeschlossenheit des alten Westberlin.
Wie die neue politische Landschaft in der Hauptstadt aussehen wird, ist allerdings noch ungewiss. Bundespolitiker aller Parteien sind über das provinzielle Gebaren ihres jeweiligen Landesverbands alles andere als amüsiert. Die örtliche SPD könnte angesichts ihres desolaten Zustands von Neuwahlen nicht profitieren. Weil dafür eine Zweidrittelmehrheit im Landesparlament nötig ist, könnte sie einen Urnengang gegen den Willen der CDU auch gar nicht durchsetzen. Eine angeschlagene CDU wird allerdings Probleme haben, ihren Koalitionspartner bis zur regulären Wahl 2004 im Boot zu halten.
Bis vor wenigen Wochen galt es noch als ausgemacht, dass die große Koalition einfach weiterwurstelt wie bisher – mindestens bis zum regulären Wahltermin 2004, womöglich bis zu einer Länderfusion mit Brandenburg im Jahre 2009. Jetzt, da hat Landowsky sicher Recht, ist plötzlich wieder alles offen.
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