: Ideologie und Freundschaft
Vom Menschen zur Tötungsmaschine und zurück: Der erstaunliche südkoreanische Film „Joint Security Area“
Die „Brücke ohne Wiederkehr“ trennt im innerkoreanischen Grenzdorf Panmunjom in der „demilitarisierten Zone“ die Wachposten des Nordens und des Südens. Eines Nachts werden hier am 38. Breitengrad zwei nordkoreanische Grenzsoldaten erschossen. Der Vorfall löst eine militärische Kettenreaktion blind aufeinander feuernder Grenzsoldaten aus. Doch anschließend einigen sich beide Seiten, die Überwachungskommission neutraler Nationen mit der Untersuchung des Vorfalls zu beauftragen.
Die Aufklärung des heiklen Falls in dieser systemübergreifenden Männerwelt unterliegt Leutnant Sophie Jean, einer eigens eingeflogenen Schweizerin koreanischer Abstammung. Sie ist die erste Frau, die seit dem Waffenstillstand von 1953 überhaupt Zutritt zur „Joint Security Area“ erhält. Ihr erster Besuch im Land ihres Vaters führt sie tief in die innerkoreanischen Verstrickungen. Ihr Auftrag lautet absolute Neutralität, doch die könne es hier gar nicht geben, meint verächtlich ein südkoreanischer Offizier. Ihr Schweizer Vorgesetzter ist gar der Meinung, dass Frieden an diesem Ort nur dadurch möglich sei, dass die Wahrheit verborgen bleibe.
Die Wahrheit passt auch nicht ins gepflegte Feindbild. Kriminalistisch vernimmt Jean die Überlebenden auf beiden Seiten, doch deren Aussagen wollen partout nicht zusammenpassen: Der nordkoreanische Sergeant Oh Kyung Pil beschuldigt den südkoreanischen Sergeant Lee Soo Hyuk, den nordkoreanischen Wachposten überfallen zu haben, während Lee behauptet, er sei von den Nordkoreanern entführt worden und habe sich nur selbst verteidigt. Jean findet heraus, dass die beiden Freunde sind. Doch warum sollten sie aufeinander geschossen haben? Rückblenden zeigen, wie der Draht einer Mine, in dem sich der verirrte Südkoreaner verhedderte, auf tragikomische Weise zum Auslöser der grenzübergreifenden Männerfreundschaft wurde. Während die Freunde tagsüber ihren Rollen gerecht werden, sich demonstrativ über die Grenzmarkierung hinweg anspucken, stoßen sie nachts miteinander an, beschenken sich und zeigen sich Fotos ihrer Liebsten.
Ein nächtlicher Fehlalarm lässt die Freunde in ihre Rollen als Tötungsmaschinen zurückfallen und weckt bei dem Südkoreaner Zweifel, ob die Freundschaft aufrechterhalten werden kann. Ein letzter Besuch zum Geburtstag soll einen würdevollen Abschied ermöglichen, doch dann kommt es zum tragischen Schusswechsel.
„Joint Security Area“ war in Südkorea der Film des vergangenen Jahres, was sicher auch an den politischen Entwicklungen dort lag. Regisseur Par Chan-wook beschreibt im Kleinen die Annäherung, die es mit dem Gipfel der beiden Kims im Großen gegeben hat. Wie im vergangenen Juni, als die Südkoreaner den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-il erst mal als Mensch und nicht als Monster wahrnahmen, so zeigt auch der Film die Nordkoreaner als Menschen. Sie schneiden dabei sogar sympathischer ab als ihre südkoreanischen Counterparts.
Im Film werden militärische Marionetten zu Menschen mit Herz und dann wieder zu Tötungsmaschinen. Die überspannten Reaktionen der Soldaten im Einsatz wirken mitunter lächerlich, doch die Realität ist tödlich. Wie im Film ist bei aller Annäherung auch in Wirklichkeit das Zerstörungspotenzial unvermindert, die große Katastrophe in Korea nicht ausgeschlossen. Doch Freundschaften zwischen Soldaten über die bestbewachte Grenze der Welt hat es auch in der Realität gegeben. Die Frage, ob Ideologien oder Menschen stärker sind, ist noch nicht beantwortet, auch wenn in „Joint Security Area“ die Ideologien die Menschen in die Katastrophe treiben lässt. SVEN HANSEN
„Gong Dong Kyung Bi Gu Yuk/ Joint Security Area“. Regie: Par Chan-wook. Südkorea, 110 Min.
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