piwik no script img

„Schlimmer als Eierabschneiden“

Schönebergerin stellte sich in einem Akt von Zivilcourage einer Gruppe von gewalttätigen Jugendlichen entgegen. Jetzt hat sie Angst vor der Rache der Gang, aber sie würde aber jederzeit wieder eingreifen. Die Polizei gibt ihr nun Ratschläge

von PLUTONIA PLARRE

Wenn alle so wären wie die 40-jährige Verlagsangestellte Jenni J. – in der Stadt gäbe es weniger Probleme mit aggressiven Jugendgangs. Aber Jenni J. ist ein Einzelfall. Dabei hat sie nichts anderes getan, als etwas soziale Kontrolle in ihrem Kiez auszuüben.

Es geschah am vergangenen Montagvormittag in der Nähe des Winterfeldtplatzes in Schöneberg. Jenni J. war mit ihrem dreijährigen Sohn auf dem Weg zum Kindergarten. Fünf bis sieben Jugendliche, vermutlich arabischer oder türkischer Herkunft, hatten sich im Halbkreis um einen jungen Mann aufgebaut und drückten diesen an eine Hauswand. Der junge Mann wirkte sichtlich eingeschüchert. Die Angreifer waren zwischen 13 und 17 Jahre alt und trugen teure Markenklamotten. Während die übrigen Passanten um das Geschehen ein großen Bogen machten, stellte Jenni. J. die Jugendlichen zur Rede. „Sieh, dass du weiterkommst“, lautete die schroffe Antwort. Jenni J. tat dies, weil sie ihren kleinen Sohn nicht gefährden wollte.

Schon einen Tag später, am Dienstagmorgen, sollte es auf der Potsdamer Straße Höhe Pohlstraße ein Wiedersehen geben. Diesmal war der Sohn schon im Kindergarten. Auf dem Weg zur Arbeit sah die Verlagsangestellte, wie eine ältere Dame von einer Gruppe Jugendlicher bedrängt wurde. Die übrigen Passanten hasteten weiter.

Nicht so Jenni J., die einige Gesichter vom Vortag wiedererkannt hatte. Mit den Worten „Nicht ihr schon wieder“ schritt sie auf einen der Jugendlichen zu, der der älteren Dame mit seiner Faust vor dem Gesicht herumfuchtelte. Der drehte sich um: „Verpiss dich.“ Diesmal hatte er die Rechnung jedoch ohne Jenni J. gemacht. Mit den Worten „Alter, jetzt ist Feierabend“ packte die 1,78 Meter große Frau den Jugendlichen, der eine halben Kopf kleiner ist, und drückte ihn gegen eine Hauswand. Einen Moment lang verschlug es dem Jungen die Sprache. Hatte es doch jemand gewagt, sich ihm und seiner Clique entgegenzustellen. Zudem noch eine Frau! Kaum dass er einen Arm aus der Umklammerung freibekommen hatte, schlug der Jugendliche Jenni J. ins Gesicht. „Was? Du fasst mich an? Du bist tot. Dich bringe ich um“, rief er.

Die übrigen Passanten hätten sich so wie der Fahrer von Burger-King „einfach davon gemacht“, erinnert sich die Verlagsangestellte. Dass nichts Schlimmeres passiert sei, lag daran, dass ein älterer Herr vorbeikam, der den Jugendlichen wortlos in den Schwitzkasten nahm und von Jenni. J. wegzog. Bevor er weggeschleift wurde, holte der Jugendliche jedoch noch einmal aus und trat Jenni J. mit voller Kraft in den Bauch. Als sie vom nahe gelegenen Döner-Imbiss, von dem aus der Vorfall beobachtet wurde, die Polizei anrufen wollte, bekam sie eine Abfuhr. „Da drüben ist eine öffentliche Telefonzelle“, hieß es lapidar in dem Geschäft.

Jenni J. hat inzwischen Strafanzeige erstattet. Sie war nach dem Vorfall wie von der Rolle. „Ich habe gezittert wie Espenlaub.“ Inzwischen ist sie etwas ruhiger geworden – aber sie hat Angst, dem Haupttäter auf der Straße wieder zu begegnen. Denn sie weiß, dass sie das Ehrgefühl des „kleinen Machos“ zutiefst verletzt hat, indem sie ihn am helllichten Tag vor den Augen seiner Kumpanen maßregelte. „Das ist wie Eierabschneiden.“ Ob sie sich im Wiederholungsfall wieder so verhalten würde? „Ich würde das jederzeit wieder machen“, sagt sie. „Es geht doch nicht, dass man sich in seinem Alltag nicht mehr frei bewegen kann.“

Die Polizei hat Jenni J. stark unterstützt. Zwei Beamte vom Schöneberger Präventions- und Ermittlungsteam, kurz PE-Team genannt, kamen wenig später zu ihr nach Hause und gaben Ratschläge, wie sie sich bei einem erneuten Zusammentreffen schützen könne. Der Leiter des PE-Teams, Henry Maiwald, sagte auf Nachfrage der taz, die Gewalt von Jugendlichen sei im Kiez ein wiederkehrendes Problem. Vor allem die arabische Community schotte sich in letzter Zeit immer mehr ab, weil diese sich noch benachteiligter als die türkische fühle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen