Kirche ohne Beter

Zurück zu den Wurzeln: Die Spielstätte des OstEnd Theaters ist eine Friedhofskapelle in Friedrichshain

Statt Theaterstimmung ein Hauch von Transsylvanien. Es riecht nach Kirche, schließlich ist es auch eine kleine Friedhofskapelle Boxhagener Ecke Mainzer Straße in Friedrichshain. Früher wurden hier nur Trauergottesdienste veranstaltet. Heute tritt der Prediger nur noch jeden zweiten Dienstag auf die Kanzel.

Die anderen Tage wird Theater gespielt. Wo sonst Gesangbücher liegen, stehen jetzt die Getränke der Zuschauer. Der Altarraum ist mit blutrotem Stoff verhangen, etwas Licht gibt es von gusseisernen Kronleuchtern. Draußen ist es still, der Friedhof ist gleich nebenan. Nur ab und zu hört man eine Straßenbahn.

Eben saßen alle noch andächtig auf den Betbänken und schauten der Bearbeitung des Andersen-Märchens „Der Zinnsoldat“ zu. Mit einer Handvoll Requisiten, von denen lediglich der Zinnsoldat als Figur wirklich zu erkennen war, zauberte Dietmar Blume das Märchen als Animation aus den Dingen hervor. Das blaue Tuch wurde zum Meer, der große Hut zur Tänzerin.

„OstEnd Theater“ hat eine Gruppe um den Schau- und Puppenspieler Dietmar Blume ihr Theater genannt, das als „Theater der skurrilen Gestalten und Bilder“ seit Sommer 2000 Theater für Kinder und Erwachsene spielt. Blume stammt aus Friedrichshain, aber er hat lange in Dresden Theater gespielt. Eine berühmte Inszenierung des OstEnd Theaters ist eine Koproduktion mit dem Staatsschauspiel Dresden: „Richard III.“ nach Shakespeare, gespielt von einem Schauspieler und dreizehn Puppen. Im Laufe der Theatergründung stieß man auf einen erfolgreichen Vorgänger in Friedrichshain, das OstEnd Theater an der Frankfurter Allee, das bis 1944 spielte. Zuletzt geleitet vom legendären Theaterdirektor Bernhard Rose, der es als populäres Familientheater führte, mit über 30.000 Abonnenten. So viele werden in die kleine Kapelle schon aus Platzgründen nicht mehr kommen. Doch die Resonanz wächst. Dass ausgerechnet der PDS-Stadtrat für Jugend, Kultur und Sport sich gegen das Theater sträubte, weil er die Ruhe der Toten gestört sah, ist eine hübsche Fußnote. Inzwischen gibt es eine neuen Stadtrat, und die Georgen-Parochial-Gemeinde hat auch was von der Nutzung ihrer Kapelle. Denn demnächst gibt es Geld für die Sanierung des denkmalgeschützen Baus aus EU-Kultur-Töpfen.

In gewisser Weise ist das Theater in der Kirche auch zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Schließlich waren in der Antike die ersten Schauspieler Priester und das Theater eine kultische Handlung. Auf schaurige Weise sinnfällig war das in Dietmar Blumes Version von Samuel Becketts „Endspiel“. Becketts Welt ohne Gott in einer Kirche ohne Beter.

Hamm und Clov, zwei skurrile Fahrgestelle mit grässlichen Köpfen, die vom Puppenspieler bewegt wurden. Irgendwo in luftiger Höhe schwebten über einer fliegenden Tür die Köpfe von Hamms Eltern Nagg und Nell. Um ihre Szenen zu spielen, schwang sich der Puppenspieler in rasanten Kletteraktionen hoch hinauf. Die Köpfe von Hamm und Clov waren unterdessen auf ihren Fahrgestellen zusammengesackt.

Ohne die obligatorischen Mülleimer, die weiß geschminkten Schauspielergesichter, die heute Beckett-Inszenierungen meist zu höchst uninspirierten Veranstaltungen machen, bekam der Text eine fast quälende Aktualität. In den Dialogen der halb verwest wirkenden Gestalten konnte mancher auch seinen Alltag im täglichen Beziehungskrieg wiedererkennen. Und Becketts Texte waren plötzlich aus dem Museum ins Theaterleben zurückgekehrt. ESTHER SLEVOGT

Demnächst: „Der Zinnsoldat“, So, 18.2., 17 Uhr; „Richard III.“, 15. und 16. 2., 20 Uhr; „Metamorphosen“, 25. 2., 20 Uhr, OstEnd Theater, Boxhagener Str. 19