: Überraschung muss sein
Auslandssemester können kompliziert sein: Wer zahlt das Studium, werden die Scheine oder gar der Abschluss anerkannt? Ein Abend bei der Böll-Stiftung über Erasmus, Credit-Points und Bachelor
von CHRISTIAN FÜLLER
Sandra studierte erst Jura in Passau und später Politik am Berliner Otto-Suhr-Institut. Dann brachte sie nach kurzem Aufenthalt an der University of Sussex einen britischen Hochschulabschluss mit nach Deutschland. Sie freute sich, dass es auf der Insel so schön schnell ging – bis ihr deutsche Personalberater verrieten, dass das englische Zertifikat im öffentlichen Dienst hierzulande wenig zählt.
Joachim nahm am internationalen Programm einer deutschen Postgraduate-Universität teil. Ein Semester in Deutschland, ein weiteres an der Erasmus-Universiteit Rotterdam. Doch dann musste er feststellen: Die deutsche Uni akzeptiert die Magisterarbeit aus Holland nicht. Zu Hause hätte er noch eine schreiben müssen, um den Titel tragen zu dürfen.
So kompliziert gestaltet sich europäische Mobilität im studentischen Alltag. Auch heute noch und obwohl eine Vielzahl von Programmen den Studierendenaustausch fördern. Die EU zum Beispiel bietet ausgefeilte Mobilitätsstipendien an. Es gibt Ansätze für ein Modell der gegenseitigen Anerkennung einzelner Studienleistungen mit dem Namen European Credit Transfer System. Und überall sprießen neue Bachelor- und Masterstudiengänge aus dem Boden, die international kompatibel sein sollen. Die Heinrich-Böll-Stiftung unternahm am Montagabend den Versuch, diese Einzelmaßnahmen zusammenzudenken: Gibt es „einen europäischen Hochschulraum“, fragte die Grünen-nahe Stiftung Experten. Die Antwort fiel zwiespältig aus.
Das Austauschprogramm Erasmus der EU ist ein Beispiel dafür. Die Mobilitätsbeihilfen der EU sind klein, sie unterscheiden sich in ihrer Höhe je nach Staatsangehörigkeit, und für die reisefreudigen Studis ergeben sich im Gastland noch manche Unwägbarkeiten. Der renommierte Hochschulforscher Ulrich Teichler aus Kassel bezeichnete diese Bedingungen als „verrottet“. Trotzdem sieht er Erasmus als einen ungeheuren Erfolg an. Wichtig sei das Aha-Erlebnis für die Studis, die ins Ausland gehen. Teichler nannte das „Lernen durch Überraschungen“.
Seine Befragung von Auslandsstudenten bestätigen das. Zwei Drittel der Studierenden sagen, der Aufenthalt sei ein tolles Erlebnis gewesen, sie hätten gute Begegnungen gehabt und in der Sprache große Fortschritte gemacht. Da tritt offenbar der Ärger in den Hintergrund, den viele beim Kampf um Anerkennung ihrer Scheine zu Hause erleben.
Nicht anders ist die Situation beim so genannten Credit-Point-System. Es soll dafür sorgen, dass die europäischen Hochschulen austauschbare Lehr- und Lernformen entwickeln, die sie verbindlich gegenseitig anerkennen. „Das sind die neuen Lehr- und Wanderjahre“, lobte die Moderatorin bei Bölls, die Vizepräsidentin für internationale Angelegenheiten der Humboldt-Universität Berlin, Barbara Ischinger. Mit einem Scheine-Rucksack könnten die Studis durch Europa von Hochschule zu Hochschule ziehen, um mit den gesammelten Credit-Points ihr Diplom abzulegen – irgendwo in Europa. Vielleicht dachte die ehemalige Direktorin des US-amerikanischen Fulbright-Programms dabei an die unbegrenzten Möglichkeiten der USA?
Stefanie Schwarz vom Wissenschaftlichen Hochschulzentrum in Kassel jedenfalls relativierte die Wandereuphorie sachte, aber kenntnisreich. Die Vielzahl verschiedener Benennungen als Bonuspunkte, Credits oder andere Titel an den Hochschulen mache auch das Credit-Point-System für den normalen Studierenden schwer durchschaubar. Ihr Institut arbeite daher daran, ein neues System mit einer einfachen Mindestlogik zu entwickeln. Und Schwarz bemerkte gar nicht, wie den anwesenden Studis sogleich schwarz vor Augen wurde – der steigende Komplexitätsgrad minderte die akademischen Reisefreuden sichtlich.
Über Erasmus und Credit-Points diskutierten die Studierenden bei Heinrich Böll lieber nicht. Sie stürzten sich gleich auf ihr Lieblings-Angstthema: die Einführung gestufter Studiengänge mit den Abschlüssen Bachelor und Master. Eine Diskutantin hatte schlechte Nachrichten von der Freien Universität Berlin mitgebracht. Gerade habe die Uni eine Rahmenordnung für die angelsächsischen Studiengänge beschlossen und da stehe drin: Wenn der Bachelor abgelegt ist, dürfe nur auf Master weiterstudiert werden, sofern ein „weit über dem Durchschnitt liegender Abschluss“ vorliege. Schon stand die Elitenfrage wieder im Raum: Dürfen auch in Zukunft alle alles studieren?
Ulrich Teichler lachte sich ins Fäustchen. Die Anst sei vollkommen unbegründet. Zwar, so gestand der Soziologe ein, neigten die deutschen Professoren dazu, in der Bachelor-Master-Stufung ihre alten Exzellenzfantasien auszuleben. Aber die Realität werde das widerlegen.
„Wenn die Professoren erst mal Masterstudiengänge entwickelt haben, wollen und müssen sie die auch vollkriegen“, sagte Teichler und untermauerte das am Beispiel Stanford. Auch dort, an einer der besten Unis der Welt, „gibt es viel mehr Master- als Bachelorstudenten.“
Und auch Inge Knudsen goß Wasser in den Wein. Die Frau von der europäischen Hochschulkonferenz hatte eine hübsche Erklärung, wieso die Konvergenz durch Programme und Abkomme gar nicht das erreichen werde, was es soll: Das Studieren quer durch Europa einfacher machen. „Wir müssen doch gar nicht alles gleichförmig gestalten“, sagte Frau Knudsen fröhlich, „sonst ist es am Ende ja gar nicht mehr überraschend, fürs Studium zu reisen.“
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