: „Kapitalismus? Ist überwunden.“
Interview JENS KÖNIGund PATRIK SCHWARZ
taz: Herr Meyer, wir fallen gleich mal mit der Tür ins Haus. Sind Sie der richtige Generalsekretär für die CDU?
Laurenz Meyer: Das müssen andere beurteilen.
Ist Angela Merkel die richtige Parteivorsitzende?
Ja.
Friedrich Merz der richtige Fraktionsvorsitzende?
Ja.
Und Roland Koch der geeignete Kanzlerkandidat für die Union?
Sie werden mich nicht aufs Glatteis führen. Über Kanzlerkandidaten reden wir erst Anfang 2002.
Scheint ja alles bestens in der CDU. Nur Ihre Partei weiß davon nichts. Sie debattiert fröhlich, wer bei Ihnen das Sagen hat. Die Machtfrage in der CDU ist offensichtlich nicht geklärt.
Doch. Es gibt eine einhellige Aufgabenteilung. Die Parteivorsitzende führt die Partei, der Fraktionsvorsitzende die Fraktion. Dass dabei immer mal wieder Fragen und Probleme auftauchen, ist völlig normal. Die muss man gemeinsam lösen. Das haben Angela Merkel und Friedrich Merz bisher gut gemacht.
Aber da sind ja noch Edmund Stoiber und Roland Koch. Sie wollen auch gern Kanzlerkandidaten werden.
Ich weiß gar nicht, was Sie haben. Wir sind froh, in dieser Generation eine Reihe von hervorragenden Führungspersönlichkeiten zu besitzen. Vergleichen Sie das doch mal mit der schwachen Ministertruppe des Bundeskanzlers.
Ist das Ihr Job: die Leute von dem zu überzeugen, woran Sie selbst nicht mehr glauben?
Das ist eine plumpe Unterstellung. Ich sage hier etwas, woran viele glauben: Anders als die SPD hat die CDU in der Altersgruppe der 40- bis 50-Jährigen keine Nachwuchssorgen. Wir haben, wenn auch ungewollt, den Generationswechsel vollzogen, der der SPD noch bevorsteht.
Und deswegen sehnt sich Ihre Partei jetzt nach Wolfgang Schäuble, dem alten Partei- und Fraktionschef. Der wird im Übrigen nächstes Jahr sechzig.
Ich möchte keinen weiteren Beitrag zur Personaldebatte der letzten Tage leisten. Wolfgang Schäuble ist für die CDU zu wichtig, um ihn zu zerreden.
Manche behaupten, die CDU drohe zu verkommen. Keine Haltung, keine Kompetenz, keine Klasse – so lautet das vernichtende Urteil.
Sie reden jetzt über die Schröder-Regierung, oder?
Wir reden von der Partei, die Angela Merkel erneuern wollte. Dass das geschehen ist, bezweifeln selbst viele Christdemokraten.
Meine Erfahrungen in Berlin sind: Mal zeichnen die Medien ein Bild von einem, das vielleicht zu positiv, und mal eines, das zu negativ ist. Über Angela Merkel wird jetzt in einem Teil der Medien negativ berichtet, weil sie die Erwartungen nicht mehr erfüllt. Das sagt aber gar nichts über ihre Politik. Ich weiß, was unsere Parteimitglieder an Angela Merkel schätzen: Sie steht für Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und eine neue Politik.
Angela Merkel will es allen recht machen. Man erkennt bei ihr keine Linie.
Das ist auch so ein Klischee. Eine Parteivorsitzende muss zuallererst integrieren. Sie muss nicht auf den Flügeln stürmen.
Aber wo bleibt die von ihr versprochene Erneuerung?
Angela Merkel hat bereits viel erreicht. Die CDU ist die einzige Partei mit einem umfassenden Bildungsprogramm. Sie hat das Verhältnis von Staat und Bürgern neu definiert. Sie hat Eckpunkte einer neuen Familienpolitik entworfen. Und Angela Merkel ist Vorsitzende der Kommission, die über eine neue soziale Marktwirtschaft nachdenkt. Das alles ist seit Mai letzten Jahres passiert. Können Sie mir mal sagen, was Schröder jemals programmatisch vorangetrieben hat?
Wir reden hier nicht über die SPD.
Ihre Antwort interessiert mich trotzdem.
Schröder hat programmatisch wenig bewegt. Die SPD praktiziert einen kühlen Pragmatismus. Hilft Ihnen das weiter?
Ich wäre sehr erfreut, wenn ich dieses Eingeständnis in der taz lesen könnte.
Kein Problem. Aber ist es angesichts dieser sozialdemokratischen Anspruchslosigkeit nicht umso notwendiger, dass die CDU dem eine klare Botschaft entgegensetzt?
Natürlich. Nur so haben wir gegen die konzeptionslose Regierung eine Chance. Im Beliebigkeitswettbewerb ist uns Schröder allemal überlegen.
Die CDU scheint aber nicht zu wissen, wie eine konservative Politik in Zeiten der Globalisierung auszusehen hat. In wichtigen Zukunftsfragen – Gentechnik, Internet, Einwanderung, soziale Frage – schwankt sie ständig zwischen Aufbruch zu neuen Ufern und der Bewahrung des Status quo.
Zwischen Aufbruch zu neuen Ufern und Bewahren sehe ich keinen Widerspruch. Ein guter Konservativer wird immer nur das bewahren, was erhaltenswert ist, und das verändern, was den Menschen nützt.
Heiner Geißler hat dieses inhaltliche Vakuum der CDU zu füllen versucht. Er schlägt der Partei eine zentrale Kampagne unter dem Motto „Gerechtigkeit statt Kapitalismus“ vor. Mit Plakaten kennen Sie sich ja aus – wäre das etwas für Sie?
Als Plakatslogan sicher nicht. Ich finde das verkürzt, was Heiner Geißler sagt. Es geht nicht darum, die SPD links zu überholen.
Die CDU ist nicht für Gerechtigkeit?
Natürlich ist sie das. Aber ich halte sowohl den Kapitalismus als auch den Sozialismus bis auf Restbestände im deutschen Parteiensystem für überwunden. Die Grundlage der CDU ist die soziale Marktwirtschaft.
Solidarität und Gerechtigkeit seien weltweit gefährdet, sagt Geißler. Der Kapitalismus sei genauso falsch wie der Sozialismus. Und das gefällt Ihnen nicht?
Wenn ich sage, der Gedanke kann nicht unsere zentrale Botschaft sein, heißt das nicht, dass er falsch ist. Er enthält eine richtige Antwort auf die Globalisierung. Nehmen Sie die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone. Das alarmierende Signal für viele Deutsche daran war, dass der Käufer das alte Industriegeschäft des Traditionsunternehmens Mannesmann zerschlagen wollte. An dem Konzern interessierte ihn nur die neue Technologie. Die Übernahme war für viele Bürger eine Vorahnung der Schattenseiten der Global Economy. Da hatten die Menschen instinktiv ein ungutes Gefühl: Was passiert mit uns in dieser Welt? Wir wären schlecht beraten, wenn wir solche Ängste nicht ernst nehmen würden.
Jetzt sind Sie doch bei Heiner Geißler.
Natürlich müssen wir die soziale Seite beachten, wir dürfen aber auch keine Zukunftsängste schüren. Wir müssen die neuen wirtschaftlichen Bedingungen mitgestalten, wir müssen auch über die Zukunftschancen der neuen Technik reden. Da wird der Kampf um die politische Mitte entschieden.
Und wie fassen Sie das kurz in eine politische Botschaft?
Wenn ich Heiner Geißler abwandeln müsste: Zukunft und Gerechtigkeit. Allenfalls in dieser Kombination wäre es eine Botschaft für die CDU.
Das klingt aber sehr nach Gerhard Schröder.
Aber im Gegensatz zu uns kann die SPD ein zukunftsfähiges Programm ihren Traditionswählern nicht zumuten. Aus diesem Grund würde doch die Regierung bis zu den Bundestagswahlen 2002 am liebsten gar nichts mehr tun.
Sich nicht festlegen wollen oder können – ist das nicht eher ein Problem der CDU?
Wir haben in vielen Fragen eine differenzierte, aber deutliche Position. Kennzeichen der heutigen Welt ist doch, dass einfache Antworten mehr denn je in die Irre führen. Schwarz oder weiß – das hilft niemandem weiter.
Nehmen wir zwei symbolträchtige gesellschaftspolitische Fragen heraus: Zuwanderung und Homoehe. Die Regierung geht neue Wege, die CDU jedoch bewegt sich vor lauter Unentschiedenheit kaum vom Fleck.
Wo bewegt sich denn die Regierung in der Einwanderungsfrage? Sie will das Problem auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Schröder braucht für den Vorsitz seiner Zuwanderungskommission sogar eine Christdemokratin, die für ihn die Kastanien aus dem Feuer holt. Wir haben mit dem Begriff „Leitkultur“ eine Diskussion angestoßen, unter welchen Bedingungen wir Zuwanderung wollen.
Ihnen kommt bis heute nicht der Satz über die Lippen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.
Deutschland ist ja auch kein klassisches Einwanderungsland.
Sehen Sie.
Entschuldigung. Ich habe mehrfach gesagt, dass es in Deutschland Einwanderung gegeben hat und gibt. In diesem Sinne ist Deutschland ein Einwanderungsland. Bei dieser Feststellung kann man aber nicht stehen bleiben. Was heißt das für das Zusammenleben in Deutschland? Dieser Diskussion weichen viele aus.
Warum streitet die CDU dann so selten mit der Regierung über diese zentralen Fragen? Stattdessen sucht die Partei Zusammenhalt über Aggressivität nach außen und einen Kulturkampf um die Vergangenheit.
Das ist falsch. Die CDU stellt sich nicht gegen die 68er. Wir haben nichts gegen Menschen, die friedlich für bestimmte Ziele demonstriert haben und heute in wichtigen Positionen sitzen. Es geht uns um die Leute, die in den Siebzigerjahren Gewalt als Mittel der Politik eingesetzt haben. Deren Beispiel ist auch heute noch verheerend für die Auseinandersetzung mit Skinheads, denen wir beibringen wollen, dass Gewalt in der Politik nichts zu suchen hat.
Erst eine CDU, die selbstgerecht und unhistorisch über eine ganze Generation herzieht, und jetzt reichen Sie den 68ern die Hand zum Friedensschluss?
Wie immer man das ausdrücken mag – ich sehe die 68er nicht als das Problem. Ich habe eine andere politische Meinung als viele von ihnen, aber das ist auch schon alles. Darüber hinaus gibt es Gemeinsamkeiten, die alle Demokraten einschließen.
Herzlicher fällt das Willkommen des CDU-Generalsekretärs für das Wählerpotenzial der 68er nicht aus?
Die 68er sind in der CDU willkommen. Die Strategie von Fischer und Trittin ist aber doch, die Grenze zwischen friedlichem und gewalttätigem Protest zu verwischen. Die Grünen versuchen, die 68er als eine Art Schutzschild vor sich herzutragen, damit nicht über diejenigen diskutiert wird, die in den Siebzigerjahren mit Gewalt gegen die Demokratie vorgegangen sind.
Die Grünen sind in Teilen ihrer Politik näher an uns dran als die SPD, haben Sie vor ein paar Wochen gesagt. Sehen Sie das immer noch so?
Ja. Dabei geht es mir nicht um kurzatmige Koalitionsdiskussionen. Mein Gott, wenn die Grünen so weitermachen wie jetzt – weiß ich denn, ob es die in fünf Jahren noch gibt?
Worum geht es Ihnen dann?
Ich möchte, dass wir die Grünen ebenso wie andere Parteien an ihren Sachaussagen messen. Wir sollten die Auseinandersetzung mit ihnen nicht emotional führen. Je differenzierter wir die Grünen beurteilen, desto glaubwürdiger können wir die Unterschiede zwischen ihrer und unserer Politik beschreiben.
Und die Gemeinsamkeiten.
Die auch. Nachhaltigkeit in der Wirtschafts- und Umweltpolitik, Förderung von kleinen Einheiten, Bürgernähe – in diesen Fragen haben die Grünen sehr konservative Ansätze. Da sind sie uns nah.
Bei Ihnen weiß kaum einer zu sagen, wo Sie politisch stehen. Mal fordern Sie einen normalen Umgang mit der PDS, dann reden Sie über Schwarz-Grün, und am dritten Tag sind Sie plötzlich stolz darauf, ein Deutscher zu sein. Wer ist dieser Meyer?
Ich stehe in der Mitte der CDU. Aber ich lasse mich ideologisch nicht festlegen. Die Gesellschaft ändert sich viel zu schnell.
Wenn wir alle weniger ideologisch wären und alle unsere eigenen Grundsätze von Zeit zu Zeit überprüfen würden – das täte uns allen gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen