: Kampf der Ermüdung
■ In Bremen präsentiert ein Dresdener Komponist zum ersten Mal seine Pekingoper „Die Nachtigall“ dem westlichen Publikum. Die Chinesen waren schon 1993 beeistert
Ein Deutscher – und sagen wir es in aller Härte – ein Ossi komponiert eine Pekingoper? Da wendet sich das Herz mit Grauen. Doch kaum hat Karsten Gundermann Genese (überaus langwierig) und Intention (überaus völkerverbindend) seines einzigartigen Projekts vorgestellt, sind alle überzeugt: Chinesen und Deutsche, Publikum und Presse. Mit 16 Jahren dachte sich dieser Gundermann, ach, warum nicht mal eine Oper schreiben. Das ist schon ein Weilchen her, 18 Jahre. Das Libretto sollte auf H.C.Andersens Märchen „Die Nachtigall“ basieren. Und zufällig ist das in China angesiedelt.
Da wurde es dem jungen Gundermann ganz fürchterlich logisch zu Mute: Wenn schon China, dann auch China in der Musik – und beschäftigte sich fürderhin mit der Pekingoper. Dabei langweilte er sich zunächst gar sehr: 25-minütige Arien für die eitlen Gesangsstars; dann diese ständigen Unterbrechungen durch Turnerei und Waffengänge; und immer diese unverständlichen Symbole und mythologischen wie historischen Querverweise. Das hält kein Europäer aus. Deshalb auch werfen TUI & Co ihren Pekingtouristen die fremde Opernkultur nur in halbstündigen Bröckchen vor, und zwar nicht ohne anschließende Vertröstung durch ein 4-Gänge-Menü, erzählt Gundermann.
Er selber aber fing nach jahrelanger Beschäftigung an, diese spezielle Mischung aus Akrobatik und Gesang zu lieben. Und er wollte den Westen mit seiner Liebe infizieren. Zum Glück leben wir im Zeitalter der Postmoderne. Und da bestehen nur noch verstaubte Puritaner auf bedingungsloser Authentizität. Und so gönnte sich Gundermann das Recht auf sanfte Transformation der Pekingoper.
Das heißt jetzt aber nicht, dass er leichtsinnig zwischen den Kulturen herummarodierte. Im Gegenteil. Sein Ziel war es ja, die östliche Tradition verständlich zu machen, so weit das irgend möglich ist. Er nahm also zwei Jahre lang in Peking Kompositionsunterricht und sagt nun manchmal, „das mache ich wie jeder andere Chinese auch“, als wäre er ein echter Chinese.
In zähen Verhandlungen klärte er mit seinen dortigen Lehrern Punkt für Punkt welche Veränderungen erlaubt sind und welche dem Geist der Pekingoper Gewalt antun? Darf ein westliches Totengerippe auf einem chinesischen Kaiser hocken? Nein, keinesfalls. Dürfen die weißen Käppchen bei chinesischen Totenfeiern wegfallen? Ja. Das Ergebnis beziffert er mit 85 (Ost) zu 15 (West). Moralische Bedenken sind überflüssig; schließlich ist die Pekingoper vor circa 200 Jahren in einem Verschmelzungsprozess entstanden: Damals fusionierten verschiedene Provinzstile. Und umgekehrt arbeitete ein Isang Yung auch lange Zeit in westlicher Tradition, ohne dass es jemanden störte.
In China wird Gundermanns Oper seit 1993 aufgeführt; mit Erfolg, obwohl er zunächst belächelt wurde wie ein urwäldlerischer Pygmäe, der sich an einer unerreichbaren Kulturnation vergreift. Nicht wenige Chinesen haben sich sogar eine stärkere Verwestlichung der „Nachtigall“ gewünscht, um die darniederliegende Pekingopertradition in China durch Veränderung neu aufzupeppen. In Deutschland scheiterten Aufführungsversuche schon vier Mal an einschlägigen bürokratischen Hindernissen. In Bremen ist jetzt endlich Europapremiere: „Mein großes Ziel!“ Aber auch: „Die Prüfung.“ bk
22.2., 20 Uhr in der Glocke; Einführung u.a. durch den Komponisten am 15.2., 20 Uhr dortselbst. Im Foyer des Konzerthauses sind passende Exponate aus dem Übersee-Museum zu sehen.
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