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Eine Reform unter dem Druck der Globalisierung

Die Beschäftigungsverhältnisse in den Betrieben sind vielfältiger geworden. Entsprechend hoch sind die Anforderungen – auch an Interessenvertreter

BERLIN taz ■ Die Atempause war kurz. Am frühen Morgen hatten sich die DGB-Vizevorsitzende Ursula Engelen-Kefer und Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegießer noch verhalten erfreut gezeigt, dass Arbeitsminister Walter Riester (SPD) und Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) einen Kompromiss zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes gefunden hatten. Spätestens als Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt (BDA) aber kurz darauf an seine Fundamentalkritik der vergangenen Wochen anknüpfte, war die nächste Runde eingeläutet. Dabei hatte Müller selbst, der sich zuletzt lautstark für seine Klientel eingesetzt hatte, nach der Verabschiedung des Entwurfs durch das Kabinett einen versöhnlichen Bogen geschlagen. Ihm sei nicht jeder Kritikpunkt einleuchtend gewesen, hatte er durchblicken lassen und zugleich die grundsätzliche Verteufelung der Mitbestimmung als kontraproduktiv dargestellt. „Wenn ein Unternehmer mit seinem Betriebsrat eine Vereinbarung schließt, kann er in Ruhe nach Hause gehen und einen Wein trinken, während für den Betriebsrat die Arbeit erst beginnt“, sagte er.

Ähnlich versöhnlich waren die Autoren eigentlich schon an den Referentenentwurf herangegangen, in dem Anregungen und Kritik aus Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften bereits vorweggenommen waren. Was Riester im Dezember vorgelegt hatte, hatte nur noch wenig mit den ursprünglichen Forderungskatalogen von SPD und Grünen und auch nicht mehr viel mit den ersten nicht öffentlichen Papieren des Arbeitsministeriums zu tun. Von den „elf wichtigsten Forderungen des DGB“ blieb die nach einer Verbesserung der Freistellung für Betriebsräte.

Nicht wenige Gewerkschafter regten sich zwar hinter verschlossenen Türen auf, nach außen hin stellten sie sich aber weitgehend geschlossen hinter den Riester-Entwurf. „Er bietet zwar keine dollen Verbesserungen, aber immerhin auch keine Verschlechterungen“, war der Tenor. Die Spitzenvertreter der Wirtschaft hielten sich dagegen nicht an den von Rot-Grün so weitsichtig vorgegebenen Kurs.

Viel geändert hat sich aber auch dadurch letztlich nichts mehr. Der nun vom Kabinett verabschiedete Entwurf, der bis zur Sommerpause das Gesetzgebungsverfahren passiert haben soll, passt das Gesetz vor allem an die veränderte Wirklichkeit in der Arbeitswelt an.

Politisch brisant ist, dass er dem Betriebsrat auch die Möglichkeit gibt, Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu beantragen und freiwillige Betriebsvereinbarungen dazu mit dem Arbeitgeber abzuschließen. Mit diesem Punkt hatte Müller unter anderem Schwierigkeiten gehabt, weil die Unternehmer fürchteten, das Thema könne allgemeinpolitische Debatten in den Betrieben auslösen. Ähnlich interessant, aber nicht umstritten, war die Aufnahme von Frauenförderung samt einer Betriebsratsquote sowie der Diskriminierungsschutz für Lesben und Schwule.

Der Entwurf bezieht Mitarbeiter ein, die in Beschäftigungsformen arbeiten, die bei der letzten Reform im Jahre 1972 noch keine Rolle gespielt haben: Auch Teleheimarbeiter und Leiharbeitnehmer, die länger als drei Wochen in einem Betrieb arbeiten, fallen unter die betriebliche Mitbestimmung und dürfen den Betriebsrat mitwählen. Um die Wahl unbürokratischer und billiger zu machen, kann das Verfahren in Betrieben bis zu 50 Beschäftigten künftig abgekürzt werden. Statt acht Wochen dauert es dann von der Bestellung des Wahlvorstandes bis zur Wahl nur noch eine. Für alle Unternehmen wird die Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten aufgehoben, die bislang ein kompliziertes Gruppenwahlverfahren nötig machte. Die Ersparnisse dürften sich pro Wahl auf fünfstellige Beträge belaufen.

Das gleiche Ziel, leichter und schneller Betriebsräte zu gründen und damit mitbestimmungsfreie Zonen zu vermeiden, verfolgt die geplante Möglichkeit, dass der alte Betriebsrat bei Unternehmensaufspaltungen ein Übergangsmandat erhält, und dass der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat für ein Tochterunternehmen einen Wahlvorstand bestellt und somit die Wahl einläuten kann – hier laufen betriebsratswillige Beschäftigte nicht Gefahr, sich beim Arbeitgeber unbeliebt zu machen.

Um den komplexen Aufgaben, die künftig etwa auch ein Initiativrecht bei der Beschäftigungssicherung, ein Mitbestimmungsrecht bei Gruppenarbeit und ein Mitwirkungsrecht beim betrieblichen Umweltschutz beinhalten, gerecht zu werden, sollen Betriebsräte schon bei einer Betriebsgröße von 200 Beschäftigten freigestellt werden müssen. BEATE WILLMS

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