: Unter rechten Rockern
Auf Tour mit Miss Schweden: In Geir Jörgensens Forumsfilm „Det Nya Landet – Das neue Land“ wird eine Asylbewerberflucht zum komödiantischen Road-Movie
Die Hoffnung hat eine undefinierbare Farbe, ist halb verrostet und hat schief hängende Stoßstangen. Die Hoffnung ist das billigste Gefährt, das Massoud beim Gebrauchtwagenhändler erfeilschen konnte. Die Hoffnung ist ein Auto, mit dem der iranische Flüchtling aus dem in Südschweden gelegenen Asylbewerberheim abhauen will, weil er kurz vor der Abschiebung steht. Mit ihm geht Ali, ein Teenager aus Somalia, der schwedisches Essen liebt, immer im blaugelben Trainingsanzug herumläuft und demnächst olympisches Gold für Schweden im 10.000-Meter-Lauf gewinnen will.
Alis Asylantrag ist nun schon zum sechsten Mal abgelehnt worden. Also springen sie in den fürchterlich heruntergekommenen Kleinwagen und fahren los, ohne selbst genau zu wissen, wieso und wohin. Dabei entdecken sie „Det Nya Landet – Das neue Land“. Ein Land, das sie bisher nur zu kennen glaubten, aber nicht wirklich kannten. Ein Land voller Schweinefleisch, Wochenendhaussiedlungen und älteren Ehepaaren mit unzüchtigem Interesse an dunkelhäutigen Minderjährigen.
Während Massoud seinen Widerstand gegen Schweden mit der Zeit aufgibt, verliert Ali im Gegenzug sein idealistisches Bild des Landes, das nicht sein Gastland sein will. Schnell gabeln sie Louise auf, eine ehemalige Miss Schweden, die innerhalb von 24 Stunden ihren Job im Imbiss und ihre Wohnung verliert. Zu dritt schippert man nun durch die schwedische Weite, auf der Suche nach Unterkunft, nach Wärme, nach Zukunft, auf der Suche nach Sinn. Endgültig absurd wird es schließlich, als das Trüppchen von einer rechtsradikalen Rockerbande unter die Fittiche genommen wird. Big Bert, der Boß der Biker, weist einen seiner Getreuen zwar an, das Nazi-T-Shirt auszuziehen, aber darunter kommt nur ein weiteres zum Vorschein, auf dem „Flüchtlinge raus!“ steht.
„Schlussendlich aber sind auch die Rocker dann herzallerliebst und verpassen dem klapprigen Fluchtwagen einen fetzigen neuen Anstrich, damit er nicht so leicht erkannt wird. Ja, so eine Asylbewerberflucht kann auch lustig sein.
Ohne jemals zu langweilen, wechselt Jörgensens Film zwischen humoristischen und bedrückenden Sequenzen. Einerseits werden die psychischen Defekte, die Ali und Massoud durch Folter, Vertreibung und Gewalt erlitten haben, spürbar und nachvollziehbar, andererseits wird der schwedische König beim Pingpong überrascht und schließlich gar aus Versehen entführt – jedenfalls fast.
Kein Statement zur Asyldebatte solle sein Debütfilm sein, sagt Regisseur Geir Hansteen Jörgensen, sondern einer über „Gefühle wie Einsamkeit und Entfremdung“. So folgt er liebevoll und voller Sympathie seinen Figuren und ihrem Bemühen, Heimat zu finden. Dabei bezieht er natürlich trotzdem eindeutig Stellung, ohne aber jemals ideologisch zu werden. „Das neue Land“ ist einfach ein zutiefst menschlicher Film über eine zutiefst unmenschliche Praxis.
THOMAS WINKLER
„Det Nya Landet – Das neue Land“. Regie: Geir Hansteen Jörgensen. Schweden, 128 Min.
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