: Reich wird reicher, Arm bleibt arm
Mit der Shareholder-Ökonomie wurde die Kluft zwischen Vermögenden und Unvermögenden größer
Deutschland ist reich. Den Bundesbürgern gehören Immobilien und Gold, Schmuck und Finanzanlagen im Wert von fast 18 Billionen Mark. Seit 1992 wuchs das reine Geldvermögen um mehr als 70 Prozent an. Über sieben Billionen Mark liegen auf Sparbüchern, in Bundeswertpapieren – oder wurden in Aktien investiert.
Geradezu naturgesetzlich scheint jedoch der neuen Shareholder-Ökonomie das Wachsen der Kluft zwischen Reich und Arm zu folgen. In Großbritannien und den USA machten die Gewerkschaften bereits Anfang der Neunzigerjahre auf dieses Phänomen aufmerksam. Seither wuchs beispielsweise die Zahl der Amerikaner ohne Krankenversicherung auf 42,6 Millionen, und jeder dritte Vollzeitbeschäftigte kann nicht von seinem Einkommen leben. Dieses Phänomen scheint nun auch in der Bundesrepublik angekommen zu sein. Dabei werden die Armen nicht ärmer, aber die Reichen werden immer reicher. Dies liegt nicht unmittelbar an den Aktien, aber an wachsenden Renditen, die für das Einkommen der Singles und Familien immer wichtiger werden. Altaktionäre kassierten zuletzt pro Jahr Renditen von 39 (1999) oder 47 Prozent (1997), derweil sich die kleinen Leute mit 2 Prozent auf ihrem Sparbuch oder einer „Lebensversicherung“ zufrieden gaben. Insgesamt verfügen laut Prognos die oberen 10 Prozent über die Hälfte des Grund- und Geldvermögens in Deutschland.
Um mehr als die Hälfte wird das globale Finanzvermögen in den kommenden Jahren wachsen, schätzen die Investmentbanker von Merrill Lynch. Die High Net Worth Individuals (HNWI), Menschen mit einem Vermögen von mindestens einer Million Dollar, werden schon im Jahr 2003 über 32,7 Billionen Dollar verfügen.
Mindestens 10 Prozent der bundesdeutschen Haushalte sind arm. Sie beziehen höchstens die Hälfte des Durchschnittseinkommens. „Es gibt eine gewisse Stagnation der Armut auf hohem Niveau“, sagt der Hamburger Sozialforscher Wolfgang Schütte. Dies sind jedoch nicht immer dieselben Menschen. „Es gibt eine erhebliche Fluktuation“, aber auch einen harten Armutskern: Rund 2,7 Millionen Haushalte sind hoffnungslos überschuldet, meldet Caritas. Jene haben, selbst wenn sie gut verdienen, finanziell fast keine Chance mehr. Weitere 25 bis 35 Prozent der Haushalte existieren in einem prekären Wohlstand. „Sie leben unter der ständigen Drohung einer ungesicherten Versorgung“, schreibt die IG Metall in ihrer „Denk-Schrift fairteilen“. Besonders gefährdet: Frauen. Die Sozialhilfequote der Frauen im Westen verdoppelte sich seit 1980, ermittelte der DGB, und Ostdeutschland holt in diesem Punkt rasant auf. Jede vierte Alleinerziehende ist sozialhilfebedürftig, ergänzt das Statistische Bundesamt. In der reichsten Stadt Europas, Hamburg, lebt seit Jahren jeder vierte ABC-Schütze von Sozialhilfe. Und dabei geht es nicht allein um Geld, sondern um „eine Einschränkung der Wahl- und Teilhabemöglichkeiten“, wie die hanseatische Sozialbehörde in schönstem Amtsdeutsch anmerkt.
HERMANNUS PFEIFFER
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