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Klavierkonzert eines Radaubruders

■ Die Philharmonische Gesellschaft gräbt in den nächsten Tagen in mehreren Konzerten die Musik von Paul Hindemiths Bruder Rudolf aus. Der taucht nicht mal in Fachlexika auf

Wer kennt Rudolf Hindemith? Wer Rudolf Warnecke? Wer Hans Lofer? Ich jedenfalls habe noch nie etwas von ihnen gehört, und in Musiklexika sucht man sie vergebens. Würden sie dort stehen, reichte eh ein einziger Eintrag: Denn Rudolf Hindemith, der 1900 geborene, fünf Jahre jüngere Bruder von Paul Hindemith, nannte sich zeitweilig Rudolf Warnecke und nach dem Krieg Hans Lofer. Der Cellist, Dirigent und Komponist starb 1974. Die BremerInnen kommen nun in den Genuss, seinen Spuren folgen zu können: Dann kann jede/r selbst entscheiden, ob er zu Recht oder zu Unrecht vergessen ist. Zu Unrecht, meint natürlich der Vorstand der Philharmonischen Gesellschaft Michael Bömers. Er wollte den Weimarer Generalmusikdirektor George Alexander Albrecht zur Uraufführung eines Klavierkonzertes von Rudolf Hindemith überreden, doch rannte er bei ihm offene Türen ein, denn Albrecht war zwei Jahre lang Hindemiths Klavierschüler und hatte 1958 als Bremer Generalmusikdirekor dessen Oper „Des Kaisers neue Kleider“ aufgeführt. Aus Anlass von drei Konzerten und einem Workshop sprachen wir mit den beiden Herren.

taz: Herr Bömers, Sonntag gibt es ein Konzert mit Kammermusikwerken und Montag und Dienstag im Philharmonischen Konzert die Uraufführung eines Klavierkonzertes von Rudolf Hindemith. Wie fing alles an?

Michael Bömers: Mich hat seine Person nie losgelassen. Ich hatte bei ihm Geigenunterricht, er unterrichtete auch Dilettanten. Eines Tages kam ein Musikwissenschaftler Hans Gerd Brill zu mir, der sich für Hans Lofer interessierte. Er fand irgendwo das Klavierkonzert.

Herr Albrecht, wie war das, als Bömers Sie mit der Idee konfrontierte?

Zunächst einmal wusste ich gar nicht, dass Hans Lofer Rudolf Hindemith war. Ich studierte 1957 und 58 bei Lofer Klavier, es war ein achtstündiger totaler Drill. Aber ich habe sehr von ihm profitiert.

Kann man die psychische Situation – fünf Jahre jünger als Bruder Paul, also Kampf und vielleicht Neid – im Werkstil wiederfinden? Er hat ja mal gesagt: „Mein Bruder kann viel, er hat nur einen Fahler, er ist fünf Jahre älter als ich.“ Paul hat ihn einmal als „Radaubruder“ bezeichnet.

Unbedingt. Rudolf war kalt, abweisend, zerstritt sich mit allen, und Paul war unendlich gütig.

Mit welchen ästhetischen Strömungen hat sich Rudolf Hindemith überhaupt auseinander gesetzt? Denken wir mal an die großen Gegensätze am Anfang des Jahrhunderts wie Strawinsky, Debussy und vor allem Schönberg, Berg und Webern?

Er dachte wie Strawinsky: Ein Ton ist ein Ton, laut, hoch, schnell, aber niemals in der Funktion eines Ausdrucks. Schönberg fand er viel zu kopfig. Dann hat er sich enorm mit dem Jazz auseinander gesetzt. Sein Klavierkonzert, das wir spielen, ist unglaublich aggressiv, es springt einen an wie ein Tiger.

Rudolf Hindemith muss hochbegabt gewesen sein. Warum hat sich das letztendlich nicht niedergeschlagen?

Beide Brüder waren gleich begabt. Aber Rudolf hat es sich schon früh mit allen verdorben, er stieß alle vor den Kopf. Auch ich trennte mich von ihm, wir zerstritten uns an der Frage, was Musik sei. Er lehnte alle „seelischen“ Musiker ab: Brahms, Wagner, vor allem Bruckner, das sei eine gigantische Lüge und Schaumschlägerei. Der Name von Paul durfte in seiner Gegenwart nicht erwähnt werden.

Worauf führen Sie denn dieses Verhalten zurück?

Auf eine grausame Erziehung. Schon der Vierjährige musste Cello spielen, die beiden wurden geschlagen, wenn sie etwas musikalisch nicht konnten. Sie galten ja auch schnell als Wunderkinder.

Die Namensänderungen: War das wegen der Bruderkonkurrenz? Rduolf ist ja im Krieg hier geblieben und Paul emigrierte 1937.

Nur die Konkurrenz. Die Nazis schoben Rudolf ab nach Krakau, aber das war nicht der Grund.

Sagen Sie bitte noch etwas zu der seltsamen Entscheidung, sich nach dem Krieg fast vollkommen zurückzuziehen. Er war doch sehr ehrgeizig und auf dem Weg zu einer großen Karriere als Dirigent?

Bömers: Er war vollkommen verbittert, weil er gar keine Freunde mehr hatte, kein einziger Mensch setzte sich für ihn ein.

In einer Kritik über den Dirigenten Rudolf Hindemith ist von „Schärfe und Präzision“ die Rede. Was weiß man?

Albrecht: Da es das Geistige und Seelische auch beim Interpretieren nicht gab, dirigierte er auch so: lesen, hören, schlagen, keine Zwischentöne, kein Kommenlassen, nur technizistisch und maschinell.

Herr Albrecht, sagen Sie noch etwas über die technischen und interpretatorischen Probleme des Klavierkonzertes.

Wie gesagt: Interpretieren gibt es ja nicht, nur gut machen. Und er verlangt Tempi, die nicht gehen – wir haben es versucht.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Veranstaltungen zum 100. Geburtstag von Rudolf Hindemith in der Glocke: Sonntag, 18.2., 17 Uhr, Workshop; 20 Uhr, Klavier- und Kammermusik im kleinen Glockensaal mit MusikerInnen des Staatsorchesters; Montag, 19.2., und Dienstag, 20.2., 20 Uhr im großen Glockensaal: Philharmonisches Doppelkonzert mit dem Solisten Kolja Lessing.

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