: Schöner Schein mit Restrisiko
Auch Kosmetika enthalten Bestandteile von Rindern. Faktisch ist das Ansteckungsrisiko minimal – aber eben doch nicht völlig ausgeschlossen. Bioprodukte boomen bislang allerdings noch nicht
von TILMAN VON ROHDEN
BSE mobilisiert: Die Konsumenten verweigern sich zusehends den Einflüsterungen der Rindfleischproduzenten und üben sich im Verzicht. Experten fürchten die Ausweitung des Boykotts.
„Die Kosmetikindustrie ist verschreckt, sie fürchtet den GAU: Prionen im Töpfchen“, sagt Hans Schaefer, Mitglied einer EU-Kommission für die Sicherheit von Nonfoodprodukten und früher Wissenschaftler beim französischen Konzern L’Oréal. Die Kosmetikindustrie würde über die Gefahren nicht gerne reden, um nicht auch nur in die Nähe der BSE-Diskussion zu geraten. Man fürchte weniger die „realen Gefahren“, so Schaefer, sondern vielmehr die „medialen Risiken“.
Die Defensive bestätigt auch Michael Meyberg, Sprecher des Kosmetikmarktführers Beiersdorf: nicht darüber reden, aber handeln. Der Konzern hat, wie die Konkurrenten, alle diejenigen Rohstoffe von Rindern aus den Kosmetika verbannt, die ein erhöhtes Risiko bedeuten. Der Gesetzgeber verlangt es. So werde Kollagen heute nicht mehr aus Rinderrisikomaterial gewonnen, sondern nur noch aus Rinderhaut. „Tendenziell verzichten wir auf alle Rohstoffe, die vom Rind gewonnen werden.“ Ganz vermeiden, so Meyberg, könne man solche Bestandteile aber nicht, weil der Markt für vegetarische Kosmetikrohstoffe zu klein sei.
Solche Probleme spielen bei dem kleinen Berliner Hersteller I&M Natürliche Hautpflege GmbH keine Rolle. Das gesamte Pflegeprogramm beruhe seit Jahren auf rein vegetarischen Vorprodukten. Für Konsumenten sei es schwierig, Kosmetika zu beurteilen, denn manche Stoffe wie Tenside könnten aus tierischer oder pflanzlicher Quelle stammen, sagt Geschäftsführerin Inge Stamm. Nach ihren Angaben führt dieser „absolute BSE-Risikoschutz“ aber nicht zu erhöhten Umsätzen bei natürlicher Kosmetik. Auch würden Konsumenten nicht gezielt nach der BSE-Problematik fragen, so Beate Fritz vom „Naturkaufhaus“ in Berlin: „Weil die Anwender den Herstellern vertrauen.“
Insbesondere für die Produktion von Talg, Kollagen und Gelantine werden Bestandteile von Rindern eingesetzt. Nach der deutschen Kosmetikverordnung ist dabei die Verwendung von Risikomaterial wie Gehirn, Nerven oder Rückenmark seit 1993 nicht mehr erlaubt. Ursprünglich wurden diese Vorgaben für Arzneimittel erlassen. 1997 wurden die Vorschriften in Anpassung an Richtlinien der EU nochmals verschärft. Festgeschrieben sind auch Produktionsprozesse. So werden die Vorprodukte auf über 130 Grad Celsius erhitzt, einem Druck von drei Atmosphären ausgesetzt und tagelang in aggressiver Lauge gehalten. „Die Proteine zerfallen“, sagt Schaefer, mithin also auch die Prionen, die wahrscheinlich für BSE-Infektionen verantwortlich sind. Im Übrigen seien die Prionenmoleküle mit einem 50.000-fachen Atomgewicht viel zu groß, um über die Haut aufgenommen werden zu können. Schon bei einem 15.000-fachen Atomgewicht sei eine Absorption „praktisch zu vernachlässigen“. Aus diesen Gründen spricht der Vorsitzende der Kosmetikkommission, Professor Fritz Kemper, die das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin berät, auch von „Panikmache“. Nach seinen Angaben sind Kosmetika jedenfalls unter Berücksichtigung eines Restrisikos „sehr sicher“. Dieses Risiko wird vom Bundesinstitut auf 1:1.000.000 taxiert. „Akzeptabel“, so die Behörde.
International wird über den Zusammenhang von BSE und Kosmetika wenig geforscht, da das Risiko einer BSE-Infektion beim Essen um Potenzen höher ist. „Es gibt wichtigere Fragen bei BSE, und die Ressourcen sind nun einmal begrenzt“, so Kemper. Auch Lippenstift oder Kosmetika, die am Auge aufgetragen werden, sind nach Kemper unbedenklich, denn die „harten technischen Herstellungsprozesse lassen, chemisch gesehen, keinen Stein auf dem anderen.“
Eine Sprecherin des Bundesinstituts rät dennoch, auf Kosmetika bei offenen oder gar blutenden Wunden zu verzichten. Verbraucher müssten, da niemand Garantien abgeben könne, trotz aller Risikovorsorge „eigenverantwortlich“ handeln.
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