: Dracula, weiblich, unendlich traurig
■ In Wolfgang Hofmanns bildersatten Einrichtung von Kleist „Käthchen von Heilbronn“ schlägt die Stunde der bösen Hexe
Eine junge Frau, gerade 15 Jahre alt geworden, verliebt sich schlagartig in einen für sie unerreichbaren Mann und lebt ihren Traum gegen die härtesten Widerstände mit bedingungsloser Hingabe. Von einer Liebe, die ein geheimnisvolles Rätsel bleibt, und von einer Liebenden, deren Unschuld und Unbeirrbarkeit am Ende die Wirklichkeit verwandelt hat, erzählt Kleist im „Käthchen von Heilbronn“. Der Autor kleidet die Geschichte in ein mittelalterlich romantisches Ritterspektakel, in dem Burgen in Flammen aufgehen, Feme- und Gottesgericht über Leben und Tod entscheiden, in dem Wald, Gewitter, Ritterschlachten und die idyllische Natur zu einem farbigen Mainstream-Spektakel des beginnenden 19. Jahrhunderts gemacht werden.
Wolfgang Hofmann, Oberspielleiter am Stadttheater Bremerhaven, ist so verrückt und wagemutig, mit diesem hitzig brodelnden Märchenspiel die neue Bühne des Großen Hauses zu erobern. Die Bilder, die er dafür – in Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Bühnenbildner Lars Peter – entwickelt, sind kühn und kühl stilisierte minimalistische Tableaus. Die eingefrorenen Figuren und jeweils wenige Requisiten werden auf der Drehbühne herein- und herausgefahren, das geschieht zu wohldosierter Zwischenmusik mit fließender Eleganz. Die neue Hebebühne schiebt das Eingangsbild – Wald – auf halbe Höhe nach oben und macht darunter zwischen den Eisenträgern den unterirdischen Raum des Femegerichts sichtbar.
Die Richter sprechen im Chor, ihre Köpfe unter Fotosäulen mit dem Portait Che Guevaras verborgen. Vor diesem Gremium muss sich der Graf vom Strahl (Ulrich Gall) gegen Käthchens erbosten Vater, den Waffenschmied Theobald Friedeborn (Bernd Stichler) verteidigen, der ihm Verführung seiner Tochter mit teuflischen Tricks vorwirft. Aber Käthchens Auftritt zerstreut die Vorwürfe, der Graf wird freigesprochen.
Mit comicartigen Überzeichnungen bricht Hofmann die kühle Form auf und verstärkt zugleich ihre suggestive Kraft. Zart und poetisch ist das Bild des idyllischen Schlafplatzes, den sich Käthchen in der Nähe der gräflichen Burg eingerichtet hat. Sie lagert auf einem schmalen Fels, der von oben in den Raum gesenkt wird und über dem Boden schwebt. Kaum hörbar unterlegt Hofmann diese Szene mit Arvo Pärts sakralen Klanggeweben.
Aber die schönsten Bilder kommen nicht ohne das glaubwürdige Spiel der Darsteller aus. Und darin liegen die Schwächen dieses Abends. Der junge Schauspieler Ulrich Gall spielt den Grafen Strahl als einen herrischen, leicht arroganten und leicht aufbrausenden Macho-Mann, dem die Verunsicherung, die allmähliche Erwärmung und das Bekenntnis zu Käthchen nicht abzunehmen sind. Constance Domdey – ein Gast aus Hamburg – hat ein Käthchen-Gesicht, aber ihr Spiel macht die Innigkeit des jungen Mädchens kaum sichtbar, im Gegenteil: man fragt sich, was diese – mit ihrem winterfesten Schuhwerk buchstäblich – derb auftretende Frau an dem hölzernen hohen Herrn findet, dass sie sich ihm unbedingt zu Füßen werfen muss.
Indem Hofmann aus Käthchen eine moderne, selbstbewusste 30-Jährige macht, hat er das Geheimnis der frühen unschuldigen Hingabe – wohl gegen seine Absicht – aus dem Stück vertrieben. Stattdessen rückt Kunigunde von Thurneck in den Mittelpunkt. Isabella Wolf ist in dieser Rolle eine überwältigend großartige Hexe. Kunigundes kaputter Körper – mit Perücke, falschen Zähnen und Holzbein – wird unter einem roten hochgeschlossenen Kleid fast vollständig verborgen. Isabella Wolf bewegt sich wie eine höchst zerbrechliche Puppe. Wenn ihr im Dampfbad (ein Extra-lob für Lars Peters grandiosen Raum) Perücke und Kleid fehlen, ist sie im ledernen Stützkorsett ein unendlich trauriger weiblicher Dracula.
Ein Höhepunkt ist die Schlussszene, in der sie als vermeintliche Braut im meterlangen Reifrock in den Raum gefahren wird, und sobald sie ihren Irrtum erkennt, in dem Ungetüm von Kleid zur Gefangenen wird und in unkontrollierten Bewegungen wie ein sterbendes Insekt in letzte Zuckungen fällt. Liegt es vielleicht an der Zeit, dass heute die Käthchens so wenig glaubhaft wirken und stattdessen die bösen Hexen ihre große Stunde haben? Ist es Angst vor den Frauen, die soviel unirdische Liebe eher für einen schlechten Traum halten könnten? Schon Kleist muss sich da nicht so sicher gewesen sein, wollte er doch sein Drama zuerst „Kunigunde von Thurneck“ nennen. Hans Happel
Weitere Aufführungen: 21., 23. und 27. 2., jeweils 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven; Karten und Infos Tel.: 0471/49 001
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