: Es ist schon schön, wenn es wehtut
Deine Probleme, meine Probleme: Auf dem Kongress „Lovepangs“ sagte die Volksbühne Ja zum Liebeskummer. Experten trafen auf Betroffene
von DETLEF KUHLBRODT
Alles hatte wie so oft etwas wirr begonnen: Onkel Dietrich, der ehemalige Chefideologe bei Chance 2000, hatte mich wohl vorgeschlagen. Carmen Brucic von der Wiener Künstlerinnengruppe „Heavy Girls Lighten“ hatte dann gefragt, ob ich beim „Lovepangs-Kongress“ zusammen mit Dietrich als Liebeskummer-was-auch-immer-Berater teilnehmen wolle.
Sie sagte, „Lovepangs“ bedeute Liebesqualen und man habe sich für diesen Begriff entschieden, weil der andere negativ belastet sei. Von Trennungsschmerzen, Träumen, Illusionen, ungestillten Sehnsüchten und einer übergreifenden Kommunikation, die mit dem zweitägigen Lovepangs-Kongress in Gang gesetzt werden sollten, war noch die Rede und von Alexander Kluge, der zusammen mit Christoph Schlingensief einen imaginären Opernführer auf der großen Bühne aufführen wollte. Vor allem, sollte es „keine Schande“ sein, „verletzt zu sein“, „schwach“, „traurig“, „verwirrt“, „unproduktiv“, „unvernünftig“ oder auch „romantisch“.
Alles klang etwas wirr und zugleich klasse, und ich wusste nicht so recht, weil die Gefühle, für die man sich nicht schämen sollte, in letzter Zeit allzuoft bei mir vorbeigekommen waren. Außerdem fühlte ich mich nicht besonders fachmännisch.
So schrieb ich dem Dietrich aus Hamburg: „Experte bin ich ja eigentlich nur in Sachen ‚meine Wohnung gefällt mir nicht‘ oder ‚ich stelle ständig all meine Möbel um‘ “, und Dietrich antwortete: „Es muss irgendwie simpel sein. Tendenz müsste sein: Ja zum Schmerz, und ‚Achja, es funktioniert immer gut, wenn man sich nicht fragt, was man in einem Raum soll, sondern den Raum fragt, was er von einem will.‘ Sagt Dietrich“, schrieb Dietrich, und sein Tipp in Sachen Wohnen leuchtete mir ein.
Nachdem er – während der Filmfestspiele und nachdem ich den „Heavy Girls Lighten“ längst zugesagt hatte – erzählte, er hätte bei irgendeiner Schlingensief-Geschichte Gitarre spielen sollen, was er abgelehnt hatte, weil er das Gefühl gehabt hatte, Schlingensief, der in seinen E-Mails Dietrich oft mit „Lieber Vater“ anspricht, hätte vor allem die Kombination Gitarre spielen und Oberstaatsanwalt a. D. witzig gefunden, dachte ich auch, dass „OSTA a.D.“ heutzutage in bestimmten Zusammenhängen fast so freakig klingt wie Piercing und lange Haare in den 60er-Jahren.
Wie auch immer. „Der Kongress kam wie gerufen. Einer Freundin geht es plötzlich so ähnlich. Und mir eigentlich auch. Auch wenn ich andererseits glücklich bin“, sagte Judith, eine junge bunte Freundin, die ich als Raverin kennen gelernt hatte. Sie sagte, es sei nicht immer einfach, mit einem Popstar zusammenzusein, und thematisierte das in ihren Gesprächen, die sie mit Experten führte. Plötzlich schienen alle am Rande ihres Liebeskummers in zerbrechlichen Hütten zu wohnen.
Fast alle in der Volksbühne trugen einen gelben Button, mit dem sie sich zu ihrem Liebesschmerz bekannten: Die 120 Experten – Felix Ensslin, die Kunstkritikerin Isabelle Graw, Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen, Smudo, Dr. Motte, der etwas zu spät kam, Wolfgang Müller („es sind die Elfen, die helfen“), Antje Vollmer aus dem Bundestag, die Soziologin Gerburg Treusch-Dieter, Rainer Langhans sowieso –, die Leute, die sich beraten ließen und die Leute, die sich auf der Bühne zwischen Opernhass und Gesangesliebe sehr belebend zerrieben.
Am Freitagabend lief Alexander Kluge konsterniert und traurig wirkend am Rande herum. Tags zuvor hatte man sich nach Wochen der Zusammenarbeit über die Inszenierung des imaginären Opernführers zerstritten, getrennt, und Kluge war auch noch krank geworden, wenn ich es richtig verstanden habe, und Werner Schroeter war dann kurzfristig aus München hergeflogen, um die Fraktion der Opernfreunde zu stärken.
Die Volksbühne war rappelvoll und alles war klasse. Acht Leute hatten mich für jeweils halbstündige Beratungsgespräche gebucht. Komisch, sich so gegenüberzusitzen im lauten Foyer.
Ein Münchner erzählte mir Sachen. Ich war völlig frappiert, weil seine Probleme auch meine waren, auch wenn er ein ganz anderer Mensch war. Er beschrieb sie anfangs in den gleichen Worten, mit denen ich sie beschrieben hätte. Sowieso diese Dinge, über die man sich sofort verständigen kann oder auch die nette Marihuanaverkäuferin – und wir unterhielten uns übers Kiffen und so.
Das war seltsam und so interessant und schön, dass man am liebsten wochenlang so weitergemacht hätte, während im Roten Salon die Lassie Singers ihr Lied: „Wenn Männer von Freiheit reden (Kotzen)“ sangen. Louie Austen erwies sich als größter Interpret konstruktiv/destruktivsten Liebes- und Weltschmerzes.
Auf der großen Bühne hatte man wegen dem Klugeeklat alle Konzepte umgeschmissen und spielte Szenen aus „Schlacht um Europa“, die natürlich auch wieder total umgeschrieben worden waren. Onkel Dietrich jedenfalls, der zwischen seinen Beratungsstunden eigentlich auf die Bühne sollte, blieb neben der Bühne stehen, weil er nichts wiedererkannt hatte.
Man hatte da das Gefühl, als wenn die Dinge, unter denen man ja nicht nur allein leidet, die in einem selber sich streiten und einander nicht verstehen wollen, als würde das wirre Geschehen aus dem eigenen Kopf oder von wo auch immer auf die Bühne verlagert sein. Als wenn dieses tolle Chaos auf der Bühne inklusive Abbruch und Katzenjammer am Freitagabend sehr präzise dem entsprechen würde, was in einem selbst so passiert. Und als wenn das den anderen im Publikum auch so gehen würde.
Plötzlich dachte man, dass man in sich ja auch Opernliebhaber und -hasser hat, die den Gefangenenchor von Nabucco singen, dass der Treptower Frauenchor, der nach vorne gebeugt singen sollte und in dem zwei Frauen sich dabei einander an den Händen fassten, dass das alles nicht nur in seiner totalen Widersprüchlichkeit auf der Bühne super war, sondern einem auch Bilder und echte Menschen für das lieferte, was so chaotisch in einem selbst passiert.
Am zweiten Tag war dann alles anders. Die euphorisch kommunikative Stimmung, die überall herrschte, aber blieb bis in den Morgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen