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Pate Nummer 0815

„Gefangene helfen Jugendlichen“ will straffällige Kids vorm Knast bewahren  ■ Von Elke Spanner

Seine Idole kannte er aus der Zeitung. Starke Jungs, die auch „Scheiße gebaut“ hatten, wie er es früher nannte, und dafür im Gefängnis saßen. Jeder wirkliche Mann muss einmal im Knast gewesen sein, dachte Faruk Süren als Jugendlicher. Denn keiner seiner Helden hatte ihm erzählt, was es wirklich bedeutet, das Leben hinter Mauern zu verbringen. Jetzt, wo er selber in der Justizvollzugsanstalt „Santa Fu“ gesessen hat, will er dieses Wissen an Jugendliche weitergeben. Gestern berichtete Süren zusammen mit sechs anderen Insassen Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) und Bischöfin Maria Jepsen über ihr Projekt „Gefangene helfen Jugendlichen“.

Das läuft seit Frühjahr 1999 und besteht darin, dass straffällig gewordene Jugendliche Insassen in „Santa Fu“ besuchen und sich von ihnen den persönlichen Werdegang und Knastalltag schildern lassen. Zunächst in der großen Runde, dann in Einzelgesprächen unter vier Augen. „Draußen“, sagt Süren, „kannst Du der Pate gewesen sein: Hier drin sind wir alle eine Nummer.“ Dass die Botschaft bei den Jugendlichen ankommt, zeigten die Briefe, die viele Jugendliche anschließend an ihre neuen Bekannten in den Knast schicken. Zwei Jungs hätten ihm neulich nach ihrem Besuch von einem Erlebnis mit der Clique geschrieben, erzählt Süren. Nachdem sie zusammen in der Disko waren, wollten die anderen noch losziehen und „Scheiße bauen“. Die beiden aber hatten sofort das Bild der Gefangenen im Kopf, die sie im Gefängnis kennengelernt hatten. Und das erste Mal, schrieben sie, hätten sie nein gesagt.

Andere freilich geben sich auch beim Knastbesuch cool. Sie sagen lässig, „das sitze ich doch auf einer Pobacke ab“, erzählt Insasse Ivan Kirr. Doch auch die müssen beim Einlass sämtliche Taschen- und Personenkontrollen durchlaufen. Und diese Jugendlichen fragt Kirr dann beispielsweise, wie ihre Mutter oder Freundin es wohl empfinden wird, unter diesen Bedingungen zum Besuch zu kommen.

Gestern präsentierten sich die Gefangenen so, wie sie auch den Jugendlichen gegenübertreten: Offen und frei von der Versuchung, sich als Opfer eines Strafgerichtes oder der Anstaltsleitung zu sehen. „Ich habe einen Mord begangen“, sagt Kirr freimütig, und dass er weiß, das niemals wiedergutmachen zu können. Aber er will jetzt zumindest Verantwortung übernehmen, indem er Jugendlichen den Irrglauben nimmt, jegliche „Scheiße“ aus der Jugendzeit bleibe ohne Folgen für die Zukunft.

140 Jungen nahmen bisher teil. Mitterweile läuft das Projekt auch im Frauenknast auf Hahnöfersand an. Die Kids kommen freiwillig – auf Vermittlung der Schule, eines Jugendzentrums oder der Polizei. Die Gefangenen, denen sie begegnen, haben langjährige Strafen abzusitzen, einige von ihnen lebenslange. Sie sind jung, um die 30, und haben zum Teil schon an die zehn Jahre im Gefängnis verbracht. Wegen des Alters „können die Jugendlichen sich mit uns identifizieren“, sagt Recep Soglu, 30 Jahre alt, seit seinem 22. Lebensjahr in Santa Fu. Und Süren, mittlerweile aus der Haft entlassen und bei der Jugendbehörde für das Projekt angestellt: „Unser Titel als Gefangener öffnet uns viele Türen, die Psychologen monatelang verschlossen bleiben.“

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