: Langsam geht der Glaube flöten
Nach dem Dopingfall des Ski-Langläufers Jari Isometsä verliert der finnische Wintersport endgültig seine weiße Weste
HELSINKI taz ■ Gestern Idol, heute Betrüger: Jari Isometsä war ein Held des finnischen Skisports, seit er mit einem Spurt bei Olympia 1992 auf den letzten Metern Norwegen die Staffel-Bronzemedaille wegschnappte. Die WM in Lahti sollte ein krönender Abschluss der Karriere des 32-Jährigen werden. Nun versetzte ausgerechnet Isometsä dieser Ski-nordisch-WM den moralischen K.o.-Schlag. Er hoffe, dass das Volk ihm vergebe, sagte der Doping-Sünder noch am Sonntag.
Damit sieht es nicht gut aus: Die Geschichte, kein leistungssteigerndes Mittel eingenommen, sondern lediglich seine „natürlich hohen“ Hämoglobin-Blutwerte mit einem verbotenen Mittel gesenkt zu haben, kauft ihm jedenfalls niemand ab. Hämoglobinwerte, die so deutlich über den Grenzwerten des Internationalen Skiverbandes liegen, bekommt man nicht auf natürlichem Wege. Sondern über ausgiebige Aufenthalte in der Unterdruckkammer – oder mit medikamentösem Blutdoping. Eine Methode, mit der im finnischen Leistungssport ausgiebig experimentiert wurde. Als es noch erlaubt war. Und danach? Unbefleckt wie das Weiß in der finnischen Flagge, so sieht man im Land der 1.000 Seen gerne den Ruf des einheimischen Sports. Und verdrängt dabei massiv dessen von verschleierten oder verspätet aufgedeckten Dopingfällen gepflasterte Vergangenheit, in der speziell der finnische Skiverband keine rühmliche Rolle spielt.
So hielt man vor den Winterspielen 1972 in Sapporo ein positives Dopingresultat von Eero Mäntyranta zurück und rückte damit erst heraus, nachdem er bei Olympia seine Wettkämpfe abgeschlossen hatte – ohne Medaille. Anlässlich der Spiele in Sarajevo ging ein Aufschrei der Entrüstung durch das Lager der finnischen Offiziellen, als der norwegische Trainer Magne Lundemo andeutete, ein Teil der überraschenden finnischen Erfolge könne auf Blutdoping zurückzuführen sein. Vor drei Jahren war es dann die finnische Nachrichtenagentur FNB, die berichtete, der Skilangläufer Jari Räsänen sei bei seinem Aufsehen erregenden Comeback nach längerer Verletzungspause mit dem Wachstumshormon Genotropin gedopt gewesen, welches zu allem Überfluss der finnische Skiverband für seine Sportler eingekauft habe. Und dann gibt es da noch den finnischen Stabhochspringer Auvo Pehkoranta, der vor vier Jahren schon berichtet hatte, dass das gesamte finnische Leistungssportsystem bis in die 80er-Jahre hinein auf massiven Dopingmissbrauch gegründet war. Pehkoranta: „Der Leistungssport war vollständig verrottet und ist es vielleicht noch heute. Wie hätte er auch so plötzlich sauber werden sollen?“
Jari Isometsäs Schatten veranlasst die skandinavischen Medien nun zu lautem Nachdenken, was es eigentlich mit anderen finnischen Überraschungen bei der WM auf sich habe. Zum Beispiel: Wie Virpi Kuitunen Gold gewinnen konnte, obwohl sie kürzlich noch Mittelmaß war. „Wir würden so gerne daran glauben“, schreibt Göteborgs Posten, „an ihre Erklärungen von einem neuen Training, das zu dieser goldenen Metamorphose führte. Und nichts anderes. Wir würden so gerne.“ REINHARD WOLFF
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen