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Leben unter dem Stroboskop

Doug Aitken baut aus Mehrfachprojektionen Videoräume, in denen man zwischen lauter Filmfragmenten taumelt, auf der Suche nach den Zusammenhängen einer unzusammenhängenden Welt. Einige Arbeiten sind in Berlin und Wolfsburg zu sehen

von HARALD FRICKE

Jeder Flug beginnt mit einer Zeit des Wartens. Zwischen Check-in und Boarding Time sitzt man am Gate herum. Niemand weiß etwas mit dem Leerlauf anzufangen in den 20 Minuten bis zum Start. Das summiert sich: Bei hundert Passagieren pro Maschine und etwa 90 Flügen sind es in Berlin-Tegel über 300 Stunden, die ungenutzt bleiben. Täglich kommt so ein Jahresurlaub an verwarteter Zeit zusammen, wenn man den Stillstand auf die Arbeitswelt umrechnet. Fliegen ist gigantische Zeitverschwendung.

Damit die Menschen nicht darüber nachdenken müssen, was ihnen entgeht, während sie warten, blättern sie in Zeitschriften. 20 Minuten reichen aus, um sich die neue Sommerkollektion in der Vogue anzuschauen oder um in Geo über den Mobilitätswahn in Manila informiert zu werden. Weil man aber in Gedanken schon auf Reisen ist, sind die Texte schnell vergessen. Nur ein paar Bilder bleiben in der Erinnerung hängen. Und es sind ebendiese Bilder, aus denen sich ein großer Teil der zeitgenössischen Kunst zusammensetzt.

Die Rede ist vom Erfolg Wolfgang Tillmans, von der Ästhetik des Augenblicks, einem diffusen Jetzt, dass sich in Fotografie und Videokunst durchgesetzt hat. Tatsächlich scheint die Unkonzentriertheit in der Wahrnehung des Alltags mit den Bildern zu korrespondieren, die sich die Kunst von diesem Alltag macht. Alle Verdichtung ist nur mehr Form: eine unendliche Ansammlung von momenthaft aufgeschnappten Details, die in der nächsten Sekunde schon ganz andere sein könnten.

Auch Doug Aitken ist so ein Künstler, mit entsprechender Biografie: 1968 in Redondo Beach, Kalifonien, geboren, Studium am Art Center College of Design in Pasadena, später MTV-Clips für Fatboy Slim, Iggy Pop und Techno. Bei seiner Ausstellung 1997 in der 303 Gallery in New York gab es Bier, von Beck’s gesponsert, weil der Kunstbetrieb sehr gut als Eventmaschine funktioniert. Im Kölner Museum Ludwig konnte man vor zwei Jahren Aitkens Videoinstallation „Eraser“ sehen, eine Art Doku-Fiction über die karibische Insel Montserrat nach dem Vulkanausbruch. Tropische Wälder vereint mit Ruinendörfern, bis alles in einer vakuumgleichen Grauzone verschwimmt. Schöne, minimalistische Bilder einer sich auflösenden Natur.

Aitken mag die Kluft zwischen Landscape und Mediascape. In seinen Arbeiten inszeniert er die Nervosität einer übersteigerten und dabei irgendwie zersplitterten Gesamterscheinung von Welt. Ein bisschen romantisch, aber sehr entertaining: Willkommen im Real-Life-Setting der urban culture. Gleichwohl ist der Grat ungeheuer schmal, an dem Aitkens Video-Environments oder Fotostills, die zurzeit im Kunstmuseum Wolfsburg und in den Berliner Kunst-Werken gezeigt werden, in bloße Begeisterung für technische Brillanz umschlagen. Dann gerät die Präzision, mit der er nebensächliche Handlungen, Stadtlandschaften und öde Wüstenorte parallel schneidet, selbst zum Leerlauf, bei dem sich die Montage nicht von einem kurz durchgeblätterten Magazin unterscheidet.

In Wolfsburg steht man zunächst in einer dunklen Flucht aus vier Videoräumen. Ein junger Mann sitzt im Film auf dem Bett und starrt paralysiert auf einen für den Betrachter nicht sichtbaren Fernseher. Der Mann heißt Ali „Gigi“ Johnson, und er tanzt gern, weil er im Tanz mit seiner Umgebung eins werden kann: „That’s the only now I live in.“ Diesem Bekenntnis folgt bei Aitken eine Sequenz, in der Johnson zu einem Soundtrack aus flatterigen elektronischen Beats nachts durch die Vorstädte von Los Angeles irrt. Die Bewegung ist das Ziel: Er zuckt, er stolpert, am Ende stürzt er sogar. Der Rhythmus der Bilder passt sich dem Driften des Körpers an, verlangsamte Kamerafahrten werden von Close-ups auf Johnson zerhackt, um sich in der Totale auf einen Supermarkt zu verflüchtigen. Zwei Räume füllt Aitken mit diesen ekstatischen Visuals, auf der letzten Projektion sieht man Johnson nur noch allmählich in einem matt erleuchteten Tunnel verschwinden.

„Electric Earth“ zeigt für knapp fünf Minuten einen exzentrischen Clubber, der zwischen Tanzfläche und Leben nicht mehr trennen kann. Das macht den Film zur angenehm unaufgeregten Momentaufnahme eines Aussteigers, dem man beim Aussteigen zuschaut. Zugleich erinnert das Video als atmosphärische Miniatur an Filme von David Lynch: Beide suchen nach einer Zwischenzone, in der Wahrnehmung, Umwelt und Bewusstsein verschmelzen.

Doch bei Aitken wird der Betrachter in den Rausch des Akteurs auf der Leinwand mit hineingerissen. Zeitgleich sind die Szenen auf acht Screens projiziert, sodass der Blick unstet von Fragment zu Fragment eilt, auf der Suche nach Zusammenhängen. Die Totale auf ein Shoppingcenter geht bruchlos ins Bild einer Telefonzelle über, der schläfrige Gang von Johnson kontrastiert mit einem Flugzeug, das im Hintergund durch den Sonnenaufgang schwebt. Das Video spiegelt die Welt als Kaleidoskop: Es gibt keine lineare Erzählung, die Images tanzen einzeln, jedes mit sich selbst.

Für seinen Videoraum in Berlin hat Aitken den ornamentalen Bilderreigen weiter perfektioniert. „I am In You“ ist das Porträt eines kleinen Mädchens, das wie Johnson von der Geschwindigkeit besessen ist, mit der sich das Dasein permanent verändert. „You can’t stop“, flüstert sie immer wieder und dass Leben für sie Rennen bedeutet. Im Gegensatz zu „Electric Earth“ setzt Aitken diese Ruhelosigkeit aber gar nicht erst in Szene. Stattdessen sind es ausschließlich die Brechungen im Schnitt, bei denen die Liebe zum Speed durchschlägt. Mal fährt ein Zoom hysterisch über U-Bahn-Steige, mal flackert ein transportables Holzhaus wie eine Discokulisse im Stroboskoplicht, mal spielt die Kleine Abklatschen mit ihrem Schatten an der Wand. Wieder ist es der Betrachter, der, vom Allover aus fünf parallel angeordneten Projektionen irritiert, in den Mahlstrom der Bilder gesogen wird.

Und wieder gibt es nichts zu erzählen, nur Assoziationen. Das Haus wird auf einem Laster durch die Nacht gefahren, während das Kind im Bett liegt. Selbst im Schlaf ist man viel unterwegs, selbst im Video ist Freud ein Traumtänzer. So blättert der Künstler Seite für Seite seiner zum Film gewordenen Zeitschrift um, während man still auf die permutierenden Images starrt, obwohl nichts geschieht. Trotzdem fühlt man sich keineswegs unwohl, wenn man eine Viertelstunde in Aitkens Bilderlounge womöglich umsonst gewartet hat. Denn der Flug ist inzwischen gestrichen worden.

„Metallic Sleep“, bis 13. 5., Kunstmuseum Wolfsburg.„I am in You“, bis 8. 4., Kunst-Werke Berlin.Zu beiden Ausstellungen ist ein Künstlerbuch erschienen (48 DM).

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