: Klare Fronten gibt es nicht mehr
„Natürlich ist heute alles anders als vor vier Jahren, als wir auf einer Sympathiewelle schwammen“, klagt die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg
aus Lüchow HEIKE HAARHOFF
Es gibt Bilder, gegen die soll man nicht anreden. Die von den Menschen im Schneidersitz auf der Straße nach Gorleben gehören dazu: wie sie da sitzen, in sich ruhend, als wollten sie es mit Gandhi aufnehmen. Zu Tausenden und 52 Stunden lang unbeweglich auf einem Fleck, nachts trotz minus 5 Grad und tags trotz Schlagstöcken und Wasserwerfern.
Doch Birgit Huneke, Frontfrau der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, friedensbewegte Demonstrantin, mag nicht einstimmen in das Loblied auf diesen gelungenen Pazifismus. Sie sagt einfach nichts dazu. Spricht nicht aus, was auch sie weiß: Die gewaltfreien Sitzblockaden gegen den Castor aus dem Jahr 1997 haben dem Widerstand, der außerhalb des Wendlands immer noch schlicht Anti-Atomkraft-Bewegung heißt, mehr als vorübergehenden Respekt gebracht. Sie sind, nach dem Ende der großen Friedensdemonstrationen der 70er- und 80er-Jahre, vielleicht die Antwort auf die Suche nach einer neuen friedlichen Protestform. Kein Wunder, dass heute, fünf Wochen vor dem ersten Atommülltransport seit vier Jahren, dem ersten mit Zustimmung eines grünen Umweltministers zudem, überall davon die Rede ist.
Doch die viel gelobten Sitzblockaden, die 1997 Massen zu mobilisieren vermochten, sind nicht das Verdienst der Bürgerinitiative gewesen. Ursprünglich jedenfalls nicht, sieht man einmal davon ab, dass die Blockade der 1997 noch sehr jungen Aktionsgruppe „X-1000mal quer“ um den Wendländer Jochen Stay natürlich nur gelingen konnte, weil die Initiative ihrerseits seit bald einem Vierteljahrhundert politische Arbeit leistet. Kontinuierlich, ehrenamtlich und mit immer denselben Aktivisten. Meistens mit solchen aus der zweiten Reihe wie Birgit Huneke, die undankbare Vorstandsfunktionen übernehmen, Infobriefe verschicken, das vor Anfragen überquellende Büro in Lüchow in Schuss halten, sich um Veranstaltungsräume kümmern und darum, dass Widersprüche gegen Demonstrationsverbote rechtzeitig beim Verwaltungsgericht eingehen. Es sind uneitle Menschen, die die Lebensfähigkeit der Bewegung garantieren. „Wir verpassen unsere beruflichen Karrieren und vernachlässigen unsere Kinder“, sagt Birgit Huneke.
Derweil andere, wie die Leute von X-1000mal quer, die teilweise mit der Bürgerinitiative groß geworden sind, jetzt ihr eigenes Ding machen und mit medienwirksamem Spektakel der alternden Bürgerinitiative den Nachwuchs wegschnappen.
Aber das sagt Birgit Huneke so deutlich nicht. Nur so viel: „Die Bürgerinitiative wird an dieser Aktionsform nicht teilnehmen.“ Als interessiere sie sich nicht dafür, was X-1000mal quer treibt. Als sei es unwichtig, dass Jochen Stay, der eloquente Sprecher der Aktionsgruppe, der auch mal Gastkommentare für die Welt schreibt, schon jetzt, fünf Wochen vor dem Tag X, an dem der Castor rollen soll, bundesweit sensationelle 4.100 verbindliche Erklärungen gesammelt hat von Menschen, die Schienen und Straßen blockieren wollen. Die 1.050 Mitglieder starke Initiative rühmt sich ihrer 1.500 eingegangenen Solidaritätserklärungen. Jochen Stay berichtet angesichts des großen Zulaufs fröhlich von einem demnächst zweiten Büro in Lüneburg. Mit Seitenhieb auf die Initiative, die die politische Meinungsführerschaft für sich beansprucht, sagt er: „Bei uns können auch Leute mit wenig politischer Erfahrung viel beitragen. Wir trauen denen das zu.“
Dass es eine Aussprache gegeben hat vorige Woche zwischen dem Vorstand der Initiative und Jochen Stay, lässt Birgit Huneke unerwähnt. Es ging um einen Spendenaufruf, den X-1000mal quer geschaltet hat. Dieser, monierte die Bürgerinitiative, sei so formuliert gewesen, dass potenzielle Spender den Eindruck gewinnen konnten, bei dem Aufrufer handele es sich um die Initiative. Folglich stünden dieser auch anteilig Spenden zu.
Kinderkram? Im Wendland ist dieser Tage den wenigsten zum Scherzen zumute. Es gilt, zu einer Großdemonstration zu mobilisieren, deren Ziel zu vermitteln schwierig geworden ist. „Natürlich ist es heute anders als vor vier Jahren, als wir auf einer Sympathiewelle schwammen“, sagt Mathias Edler vom Vorstand der Initiative. Damals waren die Fronten klar. Auf der einen Seite standen die CDU-Regierung und die Atomindustrie, die die grünen Hügel des Wendlands mit ihrem radioaktiven Müll verseuchen wollte. Auf der anderen Seite: die Bürgerinitiative, eine starke grüne Opposition und eine gesellschaftliche Mehrheit, die sich den Atomausstieg wünschte.
Heute sind die Grenzen zwischen Gut und Böse unschärfer. Ein grüner Bundesumweltminister ist in der öffentlichen Wahrnehmung immerhin ein Grüner und ein verkündeter Atomausstieg ein schönes Versprechen. Warum also noch auf die Straße gehen?
Weil der Atomkonsensvertrag nicht unterzeichnet und damit nichts wert sei, antwortet in solchen Fällen Wolfgang Ehmke, das Urgestein der Bürgerinitiative. Weil die Suche nach einem atomaren Endlager, das nicht Gorleben heißt, wider alle Versprechen nicht ernsthaft betrieben werde. Weil die Rücknahme von deutschem Atommüll aus französischen Wiederaufarbeitungsanlagen nichts mit nationaler Verantwortung zu tun habe, sondern bloß die Funktionsfähigkeit der Anlagen sichere. Weil unter solchen Bedingungen nur noch die Straße etwas nütze und nicht Gespräche, zu denen der grüne Umweltminister die Initiative und weitere Verbände erfolglos für heute einzuladen versucht hat: „Wenn Trittin sich unseren Sorgen stellen will, dann muss er zu uns kommen, nicht wir zu ihm.“ Barsch klingt das, nicht wie nach einem, der bei der vorigen Bundestagswahl noch als Parteiloser für die Grünen kandidierte. Die Zeiten, da Mitglieder der Initiative und Grüne im Landkreis Lüchow-Dannenberg eine Personalunion bildeten, sind vorbei.
Nicht dass man deswegen öffentlich miteinander abrechnen würde – wie auch? Der Landkreis ist mit 52.000 Einwohnern zu klein, als dass man sich ein jähes Ende jahrzehntelanger Freundschaften leisten wollte. Die Überzeugung, dass der verkündete Atomausstieg ein fauler Kompromiss und eine Demonstration daher unvermeidbar sei, eint Bürgerinitiativler und Grüne vor Ort immer noch.
Dennoch regiert Misstrauen, und so haben Initiative und Grüne die gegenseitige Nichtbeachtung als neue Umgangsform für sich entdeckt: Rebecca Harms, die langjährige Vorsitzende der Initiative, die es zur grünen Fraktionschefin im niedersächsischen Landtag gebracht und nun die unerfreuliche Aufgabe hat, zwischen grüner Parteiratslinie und grüner Basis zu vermitteln, setzte bei ihrem Besuch vorige Woche im Wendland keinen Fuß ins Initiativenbüro. Der geplante Besuch von Fritz Kuhn, dem grünen Bundesparteichef, der die Blockaden einer Regierungspartei unwürdig findet und sich trotzdem nach Gorleben wagen will, müsse ganz klar als Parteiveranstaltung erkennbar sein, finden die Grünen aus dem Landkreis. Schließlich dürften die Grünen nicht als Verräter dargestellt werden. Daher auch kein gemeinsamer Demo-Aufruf mit der Initiative – trotz gemeinsamer Ziele.
Wolfgang Ehmke weiß, dass sich die Initiativler auf eine Gratwanderung eingelassen haben: „Die Angst, in die Ecke der Nörgler und der Ewiggestrigen gedrängt zu werden, ist da.“ Zumal die Zahl derer, die sich bei der Initiative engagieren, nicht eben rasant wächst. Der 14-köpfige Vorstand rekrutiert sich seit Jahren aus dem immer gleichen kleinen Personenkreis. „Zum Teil mussten drei Mitgliederversammlungen abgehalten werden, bevor sich endlich Leute bereit erklärten, in den Vorstand zu gehen“, sagt die Vorsitzende Edelgard Gräfer, 57. Längst auch wird auf das Ritual verzichtet, neue Interessenten zunächst einer gewissen politischen Beobachtung zu unterziehen und ihre Aufnahme in die BI, so sie sich bewährt haben, bei einer zeremoniellen Einladung zum Kaffee zu besiegeln.
Edelgard Gräfer ließ sich im Januar breitschlagen, den Vorsitz zu übernehmen, zusammen mit Rosi Schoppe, 43, die bereits vor fünf Jahren Vorstandsmitglied war. „Die Bürgerinitiative ist mittlerweile ein Rentnerverein“, sagt sie. Warum das so ist? „Viele junge Leute verbinden uns mit einem Labertreff. Die kommen zu den Aktionen, aber nicht zu den BI-Treffen.“
Für die nächste Castor-Demo wird dieses Potenzial reichen. Für die Gefahr, dass das Wendland und sein Widerstand an politischer Bedeutung verlieren, auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen