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Da steppt das Klima

Die Folgen der Klimaveränderung sind am stärksten in Entwicklungsländern zu spüren: Überschwemmungen, Hurrikane und die Ausbreitung der Wüsten

aus Genf ANDREAS ZUMACH

„Key West und Miami vom Meerwasser überflutet. Die Chesapeake Bay nur noch 20 Meilen von Washington DC entfernt.“ Dieses Szenario könnte in 30 Jahren Realität werden. Doch muss die Katastrophe erst die Feriendomizile US-amerikanischer Politiker erreichen, bevor die Menschheit ernsthaft umsteuert? Reichen die Verödung weiter Teile Afrikas, das Verschwinden pazifischer Inselstaaten und die Ausbreitung von Cholera und Malaria in Lateinamerika nicht aus? Das fragen sich inzwischen manche unter den 900 WissenschaftlerInnen des IPCC. Denn bereits seit 1990 legt der 1988 gemeinsam von UNO und Weltwetter-Organisation gegründete „Zwischenstaatliche Ausschuss für den Klimawandel“ (Intergovernmental Panel On Climate Change) immer düstere Prognosen vor über die weltweite Klimaerwärmung und ihre verheerenden Folgen vor allem für die Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika.

Unter den IPCC-Mitgliedern herrscht inzwischen Konsens, dass die Erwärmung von den Menschen verursacht wird durch die Emission von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen, und dass ein Stopp oder zumindest eine Verlangsamung der Erwärmung nur durch eine baldige, drastische Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen bewirkt werden kann. Das jüngste gestern in Genf veröffentlichte Katastrophenszenario über die „Auswirkungen der Klimaerwärmung auf Landwirtschaft, Wetter, menschliche Siedlungen und Ernährungssicherheit“ basiert auf der vor drei Wochen vom IPCC verkündeten Einschätzung, das Erdklima werde sich viel dramatischer erwärmen als bisher angenommen. Im Laufe dieses Jahrhunderts rechnen die Klimaexperten mit einer Erhöhung der Erdtemperatur um 1,4 bis 5,6 Grad Celsius. Der Meeresspiegel werde zwischen 11 und 88 Zentimeter steigen.

„Die Folgen der Klimaveränderung sind am stärksten in Entwicklungsländern zu spüren, sowohl was den Verlust von Leben betrifft als auch hinsichtlich der Folgen für Investitionen und wirtschaftliche Entwicklung“, heißt es in dem neuen IPCC-Bericht. Wegen des Anstiegs des Meeresspiegels und der Zunahme zerstörischer Hurrikane und Taifune ist vor allem in Asien der Lebensraum von Millionen von Menschen gefährdet. In Afrika droht die beschleunigte Versteppung landwirtschaftlicher Nutzflächen und damit eine Verschärfung der Hungersnot. Insbesondere für Lateinamerika befürchten die IPCC-Forscher die Verbreitung oder den Wiederausbruch von Cholera, Malaria und anderen Seuchen. Die Zahl der Menschen in Regionen, in denen Trinkwasserknappheit herrscht, könnte im Laufe der nächsten 25 Jahre von heute 1,7 Milliarden Menschen auf 5 Milliarden steigen.

Von den Folgen der Klimaerwärmung zunehmend betroffen sind aber auch die Südostküste der USA sowie die Südregionen Europas. Die IPCC-Experten schließen nicht aus, dass im Laufe der nächsten 100 Jahre die Hälfte aller Alpengletscher verschwindet. Am nachhaltigsten – nämlich vermutlich für Jahrhunderte – wird sich das Ökosystem in den Polarregionen verändern. Die Abschmelzung der Pole und damit der Rückgang des arktischen Eises wird sich auch dann noch fortsetzen, wenn die Emission der Treibhausgase gestoppt werden sollte. Erstmals warnt das IPCC vor einem Abschmelzen der Permafrostschichten sowie einem Absterben der Regenwälder.

Das IPCC kann darauf verweisen, dass viele der in seinem ersten Report von 1990 vorausgesagten Veränderungen inzwischen eingetreten beziehungsweise nachweisbar sind. Das arktische Eis ist seit Mitte des letzten Jahrhunderts bereits um 10 bis 15 Prozent zurückgegangen. Die Eisdecke auf Seen und Flüssen schmilzt heute zwei Wochen früher als vor 150 Jahren. Zugvögel ziehen später im Jahr in wärmere Gefilde und kommen früher zurück. Die Vegetation der Alpen hat sich verändert. Weltweit verursachten Wetterkatastrophen zwischen 1990 und 2000 Schäden von 40 Milliarden US-Dollar; in den 50er-Jahren waren es lediglich 3,9 Milliarden.

Als „sehr beängstigend“ bezeichnete der Vorsitzende der UNO-Klimakonferenz, der niederländische Umweltminsiter Jan Pronk, den neuen IPCC-Bericht. Er unterstreiche die Notwendigkeit, beim nächsten, für Ende Juni/Anfang Juli geplanten Treffen der Konferenz zu „klaren Ergebnissen“ zu kommen. Im vergangenen November war die Klimakonferenz in Den Haag vor allem wegen des Widerstandes der USA ohne klare Absprachen zur Umsetzung des Kyoto-Protokolls auseinander gegangen. „Es wird Zeit, dass die Regierungen, und dabei vor allem die neue Regierung von US-Präsident Bush, erkennen lassen, dass sie die Klimaveränderungen ernst nehmen“ erklärte die Umweltschutzorganisation Greenpeace.

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