Außer Kontrolle, 19 Mal?

■ Auftakt im Wilhelmsburg-Prozess: Der Angeklagte schweigt

Zu verlieren hat er kaum noch etwas. Dreifacher Mord oder Totschlag, die Beweislage ist klar, die anstehende Verurteilung zu einer langjährigen Haftstrafe auch. Sven B. braucht keinen guten Eindruck mehr zu machen, und er bemüht sich auch nicht darum. Mit Wollmütze und Sonnenbrille sitzt er auf der Anklagebank, Kaugummi kauend. Erst als die Landgerichtskammer den Saal betritt, nimmt der Angeklagte zumindest die Sonnenbrille ab.

Mit seiner Kooperationsbereitschaft ist es damit auch schon wieder vorbei. Selbst zu seinen Personalien verweigert Sven B. die Aussage und blickt betont gelangweilt vor sich hin, als die Staatsanwältin die Anklage verliest: Mord in drei Fällen, zudem versuchter Mord, Geiselnahme, fahrlässige Körperverletzung.

Am 31. August vorigen Jahres tötete der 32-Jährige seine Ex-Freundin Barbara D. und zwei ihrer drei Töchter in deren Wohnung in Wilhelmsburg. Laut Anklage lau-erte er der Familie auf, fesselte die Opfer mit Handschellen und schoss, 19 Mal. Nur die elfjährige Nicoletta konnte sich aus den Fesseln winden und fliehen. Ihre beiden Schwestern und die Mutter starben. Auf seiner Flucht nahm Sven B. eine Geisel. Nach rund zwei Stunden setzten Polizisten ihn mit mehreren Schüssen außer Gefecht und befreiten die Frau.

Die Staatsanwaltschaft geht von einem Dreifachmord „aus niederen Beweggründen“ aus. Motiv: Rache, weil seine Freundin Barbara D. ihn verlassen hatte. Verteidiger Uwe Maeffert hingegen stellt die Tat nicht als kaltblütigen Mord, sondern als Totschlag dar. Er verliest im Namen seines Mandanten eine Erklärung, nach der dieser nicht geplant hatte, die Familie zu töten. Die Beziehung zu seiner Freundin sei schwierig gewesen, hätte aber noch bestanden, und zu einer Aussprache sei er in die Wohnung gegangen. Der 1. Schuss sei von ihm unbeabsichtigt gefallen. Anschließend sei „das Geschehen der tödlichen Schüsse außer Kontrolle geraten“. Weitere Details werde er nur einem psychiatrischen Sachverständigen mitteilen, der die Schuldfähigkeit des Angeklagten beurteilen soll.

Erschüttert über den Auftritt von Sven B. zeigte sich der Vater der getöteten Mädchen, bei dem nun die Überlebende Nicoletta lebt: „Ich hatte erwartet, dass er alles zugibt.“ Elke Spanner