: Ein Volk, zwei Hosen
Ist Glück Kunstsache oder Politiksache? Gregor Gysi und Thomas Langhoff diskutierten im Deutschen Theater darüber, wie sich die Menschheit eine bessere Zukunft bauen kann. Die alltägliche Unterdrückung muss weg, das Recht auf Unglück aber nicht
von JOCHEN SCHMIDT
Als Schüler gingen wir ständig ins Theater und versuchten uns die Schauspielernamen zu merken. Die Regisseurnamen waren etwas für Fortgeschrittene. Unter denen gehörte es zum guten Ton, die vielen Langhoffs auseinanderhalten zu können, was nicht leicht war, weil es ja immer mehr wurden. Der eine, hieß es, solle inzwischen in Frankreich eine große Nummer sein, der andere sei dessen Bruder und der Sohn von dem von früher, der schon tot war. Und der Sohn vom Sohn war Schauspieler am DT. Und später bekam sogar die Volksbühne noch einen eigenen Langhoff, und es tauchte auch noch eine Tochter oder Enkelin auf, die selber Stücke schrieb.
Wer nur Thomas Langhoff kannte, war noch kein wirklicher Kenner und musste allein ins Theater gehen. Bei Gregor Gysi wussten dagegen nur die älteren, dass der eigentlich auch ein Sohn war. Den Vater hatten wir nicht mehr erlebt, da tauchte für uns Normalverbraucher völlig unerwartet aus dem nichts Gregor auf und krempelte die Aktuelle Kamera um. Denn er stand plötzlich in dieser Sendung, in der eigentlich noch nie jemand etwas Nicht-Auswendiggelerntes von sich gegeben hatte, und beantwortete Fragen zur neuen Übergangsreiseregelung der Regierung.
Die Aktuelle Kamera verstand sich erst seit kurzem als investigative Nachrichtensendung und Gysi war bestens darauf vorbereitet, auch wenn wir uns fragten, wo er das denn heimlich geübt hatte. So souverän hätten wir das nicht gekonnt. Er klang wie ein richtiger Mensch, dem es auch wirklich um das Für und Wider des neuen Gesetzes ging. Es klang fast so spontan, als würde er tatsächlich nicht vorher wissen, was er sagen wollte. Das war eine fast so große Revolution für uns wie der Tag, als plötzlich das westliche Fernsehprogramm in der Jungen Welt stand, zu einem Zeitpunkt, als bei uns in der Kompanie noch der Fernseher verplombt war. Wir hatten noch überlegt, ob wir alle gemeinsam an einer Schnur ziehen sollten, so dass wir auch alle verantwortlich für die Entplombung wären.
Heute haben die Politiker ein so lockeres Auftreten gar nicht mehr drauf und scheinen nur darauf getrimmt, sich keine Blöße zu geben, weil sie ja eigentlich nichts gelernt haben, vielleicht ein bisschen Jura hier und da, aber weder Lebenserfahrung noch wirkliche Bildung beeinflussen ihre Entscheidungen wesentlich. Und damit keiner denkt, sie hielten sich für etwas Besseres, setzen sie sich zum Karneval lustige Mützen auf und lachen über die Witze, die andere Politiker mit noch lustigeren Mützen über sie machen.
Bei so viel Langeweile reizt es einen fast selbst, Politiker zu werden, so einfach scheint es momentan, Punkte zu machen. Aber die Abkürzung der Karriere über eine Neugründung wie die Grünen oder über eine friedliche Revolution ist nicht in Aussicht. Außerdem hat man ja auch keine Vorstellung von der Zukunft der Menschheit. Um die ging es in einem Podiumsgespräch, das Thomas Langhoff am Sonntag mit Gregor Gysi im Deutschen Theater geführt hat.
Beide sollten über das Glück reden und ob es in die Zuständigkeit der Politik oder der Kunst fällt. Es war leider so voll, dass ich nur noch im Foyer sitzen und über Lautsprecher zuhören konnte. Ich war nämlich zu spät gekommen, ich hatte ja nicht ahnen können, dass am Sonntagnachmittag so viele Menschen so orientierungslos sein würden, dass sie so eine Veranstaltung nicht verpassen wollten.
Am Abend zuvor hatte ich noch hunderte junger Menschen dabei beobachtet, wie sie zur Musik ihrer Eltern Besorgnis erregend einmütig ausrasteten. Eine Musik, die man beim ersten Wiederhören nach langer Zeit als Glück empfindet, aber beim zweiten mal schon nicht mehr.
Jetzt saß ich im Foyer der Kammerspiele mit einem Kater und hoffte, wenn ich schon einmal hier war, auch etwas mitnehmen zu können für mein Leben. Aber leider wussten die beiden da drinnen auch nicht weiter. Langhoff redete konfus, aber nicht unsympathisch, und Gysi nutzte die Zeit, um sich seine nächste Pointe zu überlegen, die auch nichts mit dem, was Langhoff gesagt hatte, zu tun haben musste. Man dachte unweigerlich an Heiner Müllers Gesprächsstrategie, die ja jeder anderen überlegen war.
Über allem lag eine gewisse Ratlosigkeit, die dazu führte, dass der Begriff „Glück“ in viele andere Begriffe aufgefächert wurde „Befriedigung“ „Abwesenheit von Unglück“ „Freude“ „Nicht weniger als die andern haben“. „Die Politik schafft Rahmenbedingungen in deren Rahmen der Einzelne sich Glücksgefühle erarbeiten kann, was die Politik ihm nicht abnehmen kann, aber immerhin muss sie ja kein Grund für zusätzliches Unglück sein“, meinte Gysi. Mehr könne sie nicht tun, weil sie sich auch tendenziell irre. Honecker hat sich wahrscheinlich bis an sein Lebensende gewundert, warum sein Volk nicht glücklich war, es hatte doch eine Hose, etwas zu essen und eine Wohnung. Aber die Maßstäbe ändern sich eben, und es hätte keinen Sinn, sich da einzumischen.
Dass aber auch unterdrückte Menschen trotzdem Glücksmomente erleben, macht einem entweder Hoffnung, oder es ist einem als Revolutionär unverständlich. Wie groß muss ihr Unglück sein, bis die Menschen auf die Straße gehen? Die indischen Kellnerinnen sind so devot, dass es einem den Appetit verdirbt, die russischen so selbstbewusst, dass sie einem nichts zu essen bringen. Es müsse doch etwas dazwischen geben, meinte Gysi. Und Thomas Langhoff forderte abschließend sein Recht darauf ein, sich gediegen unglücklich fühlen zu dürfen. In unserer Gesellschaft würde dem Einzelnen suggeriert, dass er glücklich zu sein habe, für sein Unglück schämt man sich. Für ihn kann das nicht gelten – wie er das so sagte, klang er recht fröhlich. Vielleicht weil seine große Familie mit im Saal saß, und draußen schien ja auch die Sonne.
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